Monatsspruch

Monatsspruch Oktober 2025
Jesus Christus spricht: Das Reich Gottes ist mitten unter euch!
Liebe Leserin, lieber Leser!
Es ist Oktober geworden. Ich stehe staunend vor den Altären der prächtigen Ernte des zurückliegenden Sommers, genieße goldene Tage und die noch wärmenden Strahlen der Sonne. Schon färben sich die Blätter der Laubbäume und beginnen bei erstem Sturm und Frost zu fallen. Vergilbtes Laub wird in jeden Winkel und gefegt. Es riecht modrig und abgestanden. Kaum ein anderer Monat führt mir den Kontrast von Fülle und Vergänglichkeit so sehr vor Augen wie der Oktober.
Es kommen die Abende, an denen Heizung und Ofen wieder in Betrieb genommen werden. Heißer Tee und Wolldecken stehen parat. Eine große Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit breitet sich aus. Nach stürmischen und nasskalten Spaziergängen zieht es mich nach Hause. Geborgenheit bekommt in diesen Tagen wieder einen besonderen Klang.
Der Oktober hat es in sich: Von Tag zu Tag umgeben von dem Gefühl, dass alle Fülle der Natur sich mehr und mehr verflüchtigt und geradezu aufgesogen wird von Entbehrung, zunehmender Finsternis und Leere. Die beste Voraussetzung, um der Frage nachzugehen, wo ich gerade dann noch Geborgenheit und Kraft empfangen kann.
Jesus Christus spricht: Das Reich Gottes ist mitten unter euch! So lautet der Monatsspruch aus dem Evangelium nach Lukas. Im Hintergrund dieser Worte Jesu spannen sich die großen Fragen des Lebens, zu der sicherlich diese eine gehört: Wann bin ich endlich - ungeachtet aller äußeren Veränderungen - ganz und gar geborgen?
So haben die Pharisäer mit Jesus damals um eine Antwort gerungen. Und es ist bei weitem nicht nur der Herbst mit seinen fallenden Blättern und endlosen Nächten gewesen. Es sind vielmehr bohrende Fragen angesichts gebrochener irdischer Verhältnisse. Damals. Und auch heute: Die scheinbar unlösbaren Fragen um nicht enden wollende Kriege vor der Haustür und schwindelerregende Rüstungsausgaben. Unaufhaltsamer Klimawandel, bedrückende Einsamkeit hinter verschlossenen Türen und die Unberechenbarkeit umherlaufender Wutbürger. Die Befürchtung, dass der eigene Wohlstand mit all seinen Annehmlichkeiten nicht zu halten ist, es eher abwärts als aufwärts geht. Und an den dunkelsten Tagen diese lähmende Angst, dass alles in sich zusammenbricht.
Meine Sehnsucht nach dem Himmelreich ist stark. Nach einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Jesus verspricht, dass es schon jetzt und hier unter uns sein kann. Das Reich Gottes ist erfahrbar. Und ich kann es entdecken an den vielen Menschen, die es gut miteinander meinen. Menschen, die sich gegen alle Kalkulation Zeit füreinander nehmen, die aufhören, einander in Abgrenzung und Besserwissen zu entwürdigen.
Der bedeutendste Theologe des 19. Jahrhunderts Friedrich Schleiermacher hat es einmal so beschrieben. Das Reich Gottes geschieht dort, wo wir Sinn und Geschmack fürs Unendliche empfinden. Dann sind wir eine Menschheitsfamilie, aller Barrieren und Grenzen enthoben.
Gerade dann, wenn es unbehaglich und finster um mich herum wird, entdecke ich in scharfem Kontrast solche Orte, an denen sich Immel und Erde berühren und sich Menschen begegnen, die im Geist Jesu neue Wege wagen und so Gottes Reich erfahrbar machen.
Ihr Thomas Vogt, stv. Propst

Monatsspruch September 2025
Lesen Sie noch die Zeitung? Schaust Du noch die Nachrichten? Hörst Du noch die Info-Programme im Radio?
Immer mehr Menschen erzählen mir, dass sie das nicht mehr tun. Dass sie da gar nicht mehr hinhören und hinsehen können, weil die Flut der sich ineinander verschachtelten Krisen ihnen einfach zu viel ist. - Vogelstraußmethode: Augen zu und den Kopf tief in den weichen Sand.
Bei allem Verständnis dafür, dass man manchmal Abstand braucht, dass es für die eigene Salutogenese gut ist, sich selber mal ein paar Tage aus allem rauszunehmen und vielleicht auch Nachrichten zu fasten, eine dauerhafte Lösung kann das nicht sein.
Weggucken und sich wegducken ist letztlich eher kontraproduktiv. Wir brauchen - mehr denn je – Menschen mit Rückgrat. Menschen, die Hinschauen. Menschen, die bereit sind Verantwortung zu übernehmen. Menschen mit Haltung.
Gleichzeitig ist für manche die Gefahr groß, so in allem möglichen terminlich gebunden zu sein, dass man eben auch nicht zum Innehalten kommt. Dass man das Wesentliche aus dem Blick verliert, weil man irgendwie nur funktioniert. Wir sind aber keine Maschinen, sondern menschliche Wesen mit ihren individuellen Stärken und Schwächen. Wir sind verantwortlich für unser Tun und unser Nicht-Tun. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns nicht von der Welt und nicht von uns selbst verabschieden, sondern uns die Zeit gönnen nach dem Wesentlichen im Leben zu fragen. Was befördert Leben? Was schafft neue Perspektive? Woher beziehe ich meine Motivation und woher meine Hoffnung?
„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke!“, weiß der Psalmist. Aussage, Zuspruch und Hoffnungssatz – alles in einem!
Mir hilft es, mich immer wieder neu auf Gott hin auszurichten, seiner Zuversicht und Stärke in meinem Leben Raum zu geben. Dafür brauche ich Momente des Innehaltens der Stille, der Kontemplation. Da muss dann auch mal das Handy schweigen und der Strom beständiger Nachrichten gekappt sein, um mich ganz auf Gottes Frequenz einzustellen. Allerdings nicht, um dort gänzlich zu verweilen, sondern mit neuer Klarheit, Zuversicht und Kraft mich dann wieder hineinzugeben in die Verantwortungen, in die mich Gott in dieser Welt stellt.
Mit dem Theologen Reinhold Niebuhr bete ich:
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. – Amen.
Lars Dedekind, Propst.
Monatspruch August 2025
Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tag und stehe nun hier und bin sein Zeuge

Apostelgeschichte 26, 22
Der Weg zum Einwohnermeldeamt in der malerischen Kleinstadt Negrar, mitten im Weinanbaugebiet Valpolicella, nördlich von Verona, war für uns jedes Mal wieder einer Tortur. Ich habe vergessen zu zählen, wie oft wir den Weg ins Behördenzimmer beschritten haben, bis wir endlich alle Unterlagen zusammen hatten für eine Registrierung. Jedes Mal fehlte der stets genervten Mitarbeiterin ein anderes Dokument, mal eine beglaubigte Heiratsurkunde, natürlich von einem Diplomübersetzter eidesstattlich gesiegelt. Ein anderes Mal eine Steuerbescheinigung, dann wiederum die Kindergartenberechtigung für unsere Tochter. Am Ende dauerte es vier Monate, bis zur offiziellen Wohnerlaubnis.
In solchen Situationen braucht man Hilfe, zumal, wenn man im italienischen Behördenitalienisch nicht so gewandt ist. Liebe Menschen aus unserer Gemeinde fanden sich, die mit uns gemeinsam Wartezeiten und Behördenmief auf sich nahmen, an unserer Seite waren, übersetzten. Sie waren uns eine große Hilfe.
Was wir als Familie freiwillig auf uns genommen haben, müssen die unzählig vielen Flüchtenden dieser Welt auf bedrängende Weise erfahren. Es reicht allerdings schon ein Urlaub, der nicht von A bis Z durchorganisiert ist, um an seine persönlichen Grenzen zu kommen.
Wann waren Sie das letzte Mal auf Hilfe angewiesen? Haben es mit eigenem Vermögen, aus eigener Kraft nicht alleine geschafft? Wer aus vertrauen Gefilden heraustritt, wer seine Komfortzone einmal für eine Zeit lang verlassen muss und sich nicht länger auf eingespielte, routinierte Abläufe verlassen kann, wird nicht umhinkommen, um Hilfe zu bitten. Können Sie die Namen derer noch nennen, die Ihnen einmal hilfreich zur Seite standen, uneigennützig und großzügig? Oder sogar aktuell erzählen von jenen Menschen, die Ihnen gerade jetzt Unterstützung zukommen lassen?
Der Apostel Paulus erinnert sich daran, als er vor dem König Agrippa Rede und Antwort für seinen Glauben stehen muss. Einem Resümee gleich durchschreitet er gedanklich Phase für Phase seines Lebens. Erinnert sich an eigenes Versagen, aber vor allem an Gefahren und Bedrohungen, die ihm als Missionar im Mittelmeerraum nicht erspart blieben. Wie viel Hilfe und Bewahrung er dabei immer wieder erfahren hat, entzündet sich geradezu in seinem Stoßseufzer: „Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tag und stehe nun hier und bin sein Zeuge!“ So beschreibt es die Apostelgeschichte 26, 22, dem Spruch für diesen Monat August. Am Ende eröffnete sich für Paulus immer wieder ein Weg, auf dem Energie und Perspektive sich entfalten konnten.
Was wir aus zwischenmenschlichen Zusammenhängen erzählen können, findet letztlich immer seinen Grund in der Hilfe, die uns Gott zukommen lässt. Die Bibel ist voll von solchen Lebenserfahrungen. Es sind immerzu Menschen unterwegs, die aus gewohnten Sicherheiten herausgetreten sind und sich oftmals in der Fremde wiederfinden mussten. In der wunderbaren Erfahrung, dabei niemals gottverlassen zu sein, sondern vielmehr getragen und gesegnet, liegt deren unaufhaltsame Bereitschaft, neue Anfänge zu wagen.
Als Pfarrehepaar in Italien waren wir noch so manches Mal auf Hilfe angewiesen und haben sie geschenkt bekommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Gott in unserem Leben immer wieder Konstellationen schafft und Möglichkeiten eröffnet, in denen sich Menschen finden, die sich berühren lassen, die an unserer Seite stehen.
Auf dass Sie zu gegebener Zeit Hilfe erwarten dürfen und annehmen können
grüßt Sie Ihr
Thomas Vogt, stv. Propst
Monatsspruch Juli 2025
Sorgen, die sich in Luft auflösen

In diesen Tagen wird viel und ausgiebig gefeiert: Abitur 2025. In unseren Kirchen versammeln sie sich: Die stolzen jungen Frauen und Männer mit ihren Eltern und lieben Menschen, die sie in den zurückliegenden Jahren begleitet haben. Zweidrittel ihres jungen Lebens haben sie in der Schule verbracht. Eine lange Zeit! Nun heißt es aufatmen. Viele Türen stehen offen.
Auch wir als Eltern einer 19jährigen Tochter dürfen in diesem Jahr mitfeiern. Die zurückliegenden Jahre waren bei genauerem Hinsehen neben manchen Höhenflügen vor allem von Durststrecken und viel Durchhaltevermögen geprägt. Und von vielen Sorgen mitgetragen. Im Rückblick sind sie schnell vergessen und doch zogen sie sich wie ein roter Faden durch diese vielen Jahre.
Nichts verbindet uns Menschen in aller Unterschiedlichkeit wohl so sehr wie das unermessliche Potenzial an Sorgen, die unseren Alltag bestimmen: Sorgen um die Liebsten, um berufliches Bestehen, in zermürbenden Konflikten und um die eigene Gesundheit. Sorgen vor allem auch um den Zustand dieser Welt. „Sorgt euch um nichts!“. So appelliert der Apostel Paulus im Monatsspruch für diesen Juli.
Im Rückblick kann ich Paulus vollkommen recht geben. Sorgen ziehen mich in endlose Spiralen der Unruhe. Sorgen können einem Menschen rastlose Tage und schlaflose Nacht kosten. Können einem geradezu bis zur Erschöpfung auslaugen.
Aber sehr viele Sorgen haben sich im Rückblick als wahre und verschwenderische Zeitfresser erwiesen, haben sich aus der Distanz betrachtet geradezu in Luft aufgelöst und sind dann schnellstens vergessen, bevor mich neue gefangen nehmen. Am Ende der Schulzeit sind solche Gedanken zum Greifen nah.
Sorgen zeigen mir vor allem eines: Meine Fixiertheit, meine begrenzte Sicht, mein Unvermögen, Situationen aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen. Am Bedrängendsten wird es, wenn ich mit meinen Sorgen einsam und alleine dastehe und mir von niemandem in meine Karten schauen lasse.
Der Apostel Paulus bleibt deshalb nicht einfach stehen bei seinem Appell; Sorgt euch um nichts!“, sondern fährt fort: „Sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott“ [Philipper 4, 6].
Mein Horizont erweitert sich unermesslich über das elende Um-Sich-Selbst-Kreisen: Aus der Enge in die Weite unvorhersehbarer Möglichkeiten möchte mich der Apostel führen. Es geschieht, wenn ich mein Leben aus ängstlicher eigener Wahrnehmung in einen größeren Zusammenhang zu verstehen weiß. Wir Christinnen und Christen sind eingeladen unser Leben aus Gottes Hand zu nehmen und zu begreifen. Aus der Hand zu legen, was am Ende doch nicht aus eigener Kraft leistbar ist.
Der Liederdichter Georg Neumark weiß auf die Endlosschleifen eigener Sorgen guten Rat: „Man halte nur ein wenig stille und sei doch in sich selbst vergnügt, wie unsers Gottes Gnadenwille, wie sein Allwissenheit es fügt. Gott, der uns sich hat auserwählt, der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt“. [Ev. Gesangbuch 369, 3].
In der Stille so mancher Sommernacht, wo auch immer wir sein werden, lassen sich vielleicht Augenblicke finden, in denen es leichter wird, sich eigene Sorgen in einem größeren Zusammenhang vor Augen führen zu lassen. Das Gebet kann in der Tat helfen, ein Stück weit loszulassen und abzugeben, was unsere Kräfte übersteigt.
Mit vielen guten Wünschen für eine gesegnete Sommerzeit
grüßt Sie
Ihr/Euer Thomas Vogt, stv. Propst
Monatsspruch Juni 2025
„Mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf.“ – ApG 10,28

„Mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf.“ – ApG 10,28
Wissen, wer man ist, wo man dazugehört, das ist wichtig für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, für die eigene Identität. Ich bin eben nicht irgendwie beliebig, sondern habe einen Namen, eine Familie, eine Geschichte. Ich bin mit einigen befreundet, mit anderen nicht. Ich interessiere mich für bestimmte Dinge und bin dadurch anderen, die meine Interessen teilen, verbunden. Dort, wo ich keine Interessensfelder habe, werde ich aller Voraussicht nach auch weniger soziale Bindungen haben. Manches Interesse mag mir so wichtig sein, dass ich daraus bewusst oder unbewusst einen Teil meiner Identität herleite.
Stehe ich in der Südkurve im Eintracht-Stadion, ist Fußball ein wichtiger Teil meines Lebens. Für die, die mir auf der anderen Seite im Gästeblock gegenüberstehen, gilt das auch; und doch ist deren aus der Fußballleidenschaft erwachsene Zugehörigkeit eben einer anderen Gruppe, einem anderen Verein zugeordnet. Da ist man im Wettstreit miteinander und grenzt sich voneinander ab. Obwohl man grundsätzlich eine gemeinsame Leidenschaft für den Fußball teilt, kann die leidenschaftliche Identifikation mit dem eigenen Verein dazu führen, dass die anderen Fußballfans im Gästeblock mir nicht nur zu einem fremden, sondern sogar zu einem geradezu feindlichen Gegenüber werden.
„Wir gegen die …!“ - das gibt es beim Sport; das gibt es zwischen Staaten, zwischen Kulturen und Religionen. Im Idealfall entsteht aus diesem Gegenüber ein produktiver Wettbewerb, der alle Beteiligten anspornt selbst das Beste zu leisten. Doch wenn es schlecht läuft, kann die Begeisterung kippen und dann steht nicht mehr das ursprüngliche Interesse an der Sache im Vordergrund, sondern das Gegenüber, das mich vermeintlich bedroht, mich und meine Identifikationsgruppe nicht ernst nimmt, unsere Ehre, unseren Stolz mit Füßen tritt. Und schon sind die anderen dann nur noch Projektionsfläche meiner Ängste, meiner Wut. Dass wir alle Menschen sind, dass wir miteinander diese Welt und dieses Leben teilen, dass wir zusammen so viel mehr erreichen könnten, als gegeneinander, all das wird gar nicht mehr wahrgenommen. Ich muss mich und die Meinen verteidigen. Ich muss die Bedrohung ausschalten und da die anderen die Bedrohung sind, muss ich sie ausschalten. Sie sind böse! Sie sind unrein! Sie gehören nicht zu uns! So die Logik der Angst, die Tor und Tür öffnet für Beleidigung, Ausgrenzung, Hass und Rassismus, bis hin zu Taten gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, wie wir sie aus den dunkelsten Zeiten unserer Geschichte kennen.
„Mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf.“, zitiert der Monatsspruch den Apostel Petrus (ApG 10, 28). Dieses biblische Wort erinnert uns daran, dass unsere gruppenbezogenen Identitätsbildungen nicht dazu führen dürfen, anderen ihr Menschsein abzusprechen.
Wir können unterschiedliche Interessen und Leidenschaften haben, wir können uns in unserer Geschichte und Kultur voneinander unterscheiden, aber von unserem Wesen her, von unserer wichtigsten und ureigensten Identität her sind wir alle Menschengeschwister, partizipieren wir gemeinsam an der Würde, die Gott allen Seinen Kindern zuspricht, sind wir nach christlichem Verständnis zur Einheit in Christus Jesus berufen:
„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Gal 3, 28)
Nach dieser Einheit lasst uns streben; Hand in Hand als Geschwister, als geheiligte und reine Kinder Gottes, die auf ihren himmlischen Vater vertrauend ihre Ängste überwinden lernen und in Frieden und Freiheit miteinander leben. Das ist das verheißungsvolle Menschenbild der Bibel, an dem ich mich orientieren und festhalten möchte; und Du?
Einen friedlichen und gesegneten Monat Juni!
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch Mai 2025
Zu dir rufe ich, HERR; denn Feuer hat das Grasa der Steppe gefressen, die Flammen haben alle Bäume auf dem Feld verbrannt. Auch die Tiere auf dem Feld schreien lechzend zu dir; denn die Bäche sind vertrocknet. - Joel 1,19-20

In der Not rufen wir die 110, vielleicht auch die 112. Bei seelischer Not rufen viele auch die 0800/1110111, also die Telefonseelsorge, an.
Der Prophet Joel ruft zu Gott, dem HERRN. Das Szenario das diesem Rufen zugrunde liegt, ist eine apokalyptische Naturkatastrophe: große Trockenheit, Feuer, die Weiden, Felder und Bäume zerstören, ausgetrocknete Wasserbäche. Es leiden Mensch und Tier. Ein Szenario, wie es an manchen Orten heute Menschen immer wieder erleben - in Australien, in Kalifornien, im Harz. Die an diesen Orten von großer Trockenheit verursachten Brände sind wohl vor allem dem menschengemachten Klimawandel geschuldet. Aber irgendwie bleibt das so wenig greifbar, ist so weit weg: Wir hören von den Brandkatastrophen in den Nachrichten, aber unser Haus steht ja noch. Klar, auch bei uns war der Garten in diesem Frühjahr Ende April/Anfang Mai viel zu trocken, aber wenn es dann wieder mal regnet ist das schnell vergessen.
Vielleicht haben wir auf dem Kirchentag in Hannover ein Forum besucht oder einem Podium zugehört, bei dem mahnende Stimmen an unsere Gesellschaft und die Politik erhoben wurden, den Klimawandel ernst zu nehmen und endlich glaubhafte Schritte eines konsequenten Handelns gegen die Erderwärmung zu gehen? Aber mein Lebensstil soll dadurch natürlich nicht eingeschränkt werden. Für mich soll sich nichts ändern…
Wenn ich so darüber nachdenke, ist das Schreckensbild des Propheten Joel auf einmal erschreckend aktuell! Die klimatische Apokalypse, die Joel mit dem Endgericht am Tag des HERRN verbunden sieht, scheint gar nicht mehr so unrealistisch fern und absurd. Was also tun?
Der Prophet Joel ruft im weiteren Verlauf seiner Schrift zu Buße auf, zur Umkehr zu Gott. Er sagt voraus, dass es noch nicht zu spät ist für ein neues, ein an Gott, an dem Ursprung und Ziel allen Lebens, orientiertes Trachten und Handeln. „Doch auch jetzt noch, spricht der HERR, kehrt um zu mir von ganzem Herzen … Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider und kehrt um zu dem HERRN, eurem Gott! Denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte, und es reut ihm bald die Strafe.“ (vgl. Joel 2,12-13.)
Die Frage, die uns der Monatsspruch stellt, ist eine sehr grundsätzliche: Wen rufen wir an in unserer Not? Wohin orientieren wir uns? Wonach richten wir unser Leben aus? – Nach persönlichem, materiellem Gewinn? Nach dem, was mir gerade bequem ist? Oder fragen wir „mutig, stark, beherzt“, wie es auf dem Kirchentag in Hannover hieß, nach dem höheren Ziel des Lebens? Nach dem, was nicht nur mir für mich gerade kommod ist, sondern was das Leben in seiner Fülle befördert und auch noch unseren Kindern und Kindeskindern Lebensperspektive eröffnet?!
Mögen wir Gott, Ursprung und Ziel allen Lebens, neu ins Zentrum unseres Lebens stellen. Mögen wir in unserer Not Gott anrufen und unser Verhalten ändern. Und mögen wir am Ende erleben, was der Prophet Joel auch in Aussicht stellt (Joel 3,5): „Wer des HERRN Namen anrufen wird, der soll errettet werden.“ – Amen.
Monatsspruch April 2025

Was ist mir wirklich wichtig? Wo bin ich mit Leidenschaft engagiert? Wofür brennt mein Herz?
Wer diese Fragen ernsthaft reflektiert, verlässt das Hamsterrad unhinterfragter Aktivität und begibt sich auf einen neuen Weg der Suche nach dem, was wirklich zählt.
Die Bibel ist voller Geschichten von Menschen, die den Alltagstrott durchbrechen und nach dem Sinn hinter der Oberfläche unserer Geschäftigkeit fragen. Sie Fragen nach Zusammenhängen. Sie Fragen nach einem neuen Verstehen. Sie fragen nach dem Sinn und der Tiefe des Lebens. Sie fragen nach Gott.
Eine solche Geschichte ist die der zwei sogenannten Emmausjünger (vgl. Lk 24, 13-35). Die beiden gehörten wohl der weiteren Schar von Nachfolgern Jesu an, die ihn nach Jerusalem begleitet hatten. Sie werden wahrscheinlich mit in der Menge gestanden haben als Jesus in Jerusalem einzog und voll Begeisterung riefen sie „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt, der König, im Namen des Herrn!“ Dann wendete sich das Blatt, die Stimmung wurde schroff und feindselig; und das „Hosianna!“ der Massen wandelte sich in ein „Kreuzigt ihn!“
Wie nah oder ferne die beiden diesem Geschehen waren, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass sie am dritten Tage nach Jesu Kreuzigung Jerusalem verließen, um nach Emmaus zu gehen. Auf diesem Weg voller Fragen über das, was sich in Jerusalem zugetragen hatte, schließt sich ihnen ein dritter Wegbegleiter an. Ihm schütten sie ihr Herz aus, während er mitgeht - Schritt für Schritt.
Schließlich als es Abend geworden war und als sie ihr Ziel erreichen, bitten sie ihn über Nacht bei ihnen zu bleiben. Und so bricht er mit ihnen das Brot, dankte und gab’s ihnen; und sie erkennen, wer ihr Wegbegleiter war: Jesus Christus!
Im Moment des Erkennens entschwindet Ihr Begleiter vor ihren Augen; und sie sprachen untereinander:
Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete? -
Lk 24,32
Gottes Gegenwart in Gottes Wort, Gottes Gegenwart in Jesus Christus, in dem Immanuel (= „Gott mit uns“), in dem Mitgehenden Gott, das verursacht den Emmausjüngern die Erkenntnis, wofür ihr Herz eigentlich brennt.
Und wir? Wo erleben wir Gottes Gegenwart? Wo erreicht uns Gottes Wort in unserem Leben? Wo erfahren wir auf unseren Lebenswegen den Mitgehenden Gott? Wo begegnet uns Jesus Christus?
Im Monat April feiern wir Ostern, das Fest der Auferstehung Jesu Christi. Das Fest der großen Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, sondern das Leben! Es ist das Fest der großen Freude darüber, dass auch wir Gottes Gegenwart in unserem Leben erfahren können. - Und vielleicht werden auch wir dereinst im Rückblick sagen: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete?
Frohe Ostern! Denn der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch März 2025
„Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken.“ (Levitikus 19,33)

Unser Sohn war letztes Jahr im Schüleraustausch in Kolumbien. Jetzt haben wir seine ältere Gastschwester bei uns zu Gast. Sie hat ihr Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen und lernt bei uns gerade fleißig Deutsch, um eventuell in Deutschland ihren Facharzt zu machen. Sie lernt von uns und wir lernen von ihr. Wir tauschen uns aus über kulturelle Vorlieben, über sprachliche Formulierungen, über die Geschichte unserer jeweiligen Länder und unsere eigenen Geschichten. Dabei entdeckt man im Gegenüber manchmal etwas von sich selbst. Findet Parallelitäten, Anknüpfungspunkte. Anderes bleibt fremd, exotisch und bereichert uns dadurch, denn wir lernen Neues kennen. Neue Lieder, neue Gerichte und sogar ein paar Brocken Spanisch. ¡Qué maravilloso!
Seit Jahren kennen wir einen jungen Mann. Er ist aus dem Grenzgebiet zwischen Äthiopien und Eritrea als Jugendlicher nach Deutschland geflohen. Über seine Fluchtgeschichte spricht er nicht viel, aber man ahnt, er hat Schweres durchgemacht. Trotzdem fällt sofort seine Höflichkeit auf, seine Bereitschaft sich einzubringen und von dem wenigen, was er hat, auch noch abzugeben. Er ist religiös. Gehört der koptisch-orthodoxen Kirche an. Spricht mittlerweile sehr gutes Deutsch. Hat hier seinen Schulabschluss mit dem Fachabitur gemacht und arbeitet als Elektroinstallateur. Sein Durchhaltevermögen, seine Zuversicht auch in herausfordernden Situationen, sein Glaube beeindrucken und bereichern mich.
Vor einiger Zeit haben meine Frau und ich die Gelegenheit gehabt, das Ankunftszentrum der Landesaufnahmebehörde in Braunschweig Kralenriede zu besuchen. Sehr viele Menschen leben dort auf relativ engem Raum. Ausgelegt für 668 reguläre Plätze waren dort zeitweilig weit mehr als doppelt so viele Menschen untergebracht. Jeder Mensch eine Geschichte. Jeder Mensch eine Hoffnung. Jeder Mensch eine ungewisse Zukunft. Ein Ort des Übergangs nicht der Beheimatung und doch auch ein Ort, der erstaunlich viel bietet, um die Menschen darin zu begleiten, wie es für sie weitergehen kann. Gut durchorganisiert werden Hilfen und Beratungen angeboten, wird medizinisch betreut, beherbergt und auch mal gefeiert. Trotzdem sind die Fremden dort eher unter sich. Sie bleiben uns fremd und unser Land, unsere Kultur und wir selbst bleiben ihnen fremd. Selbst untereinander sind sie Fremde. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen. Sie haben unterschiedliche kulturelle, geschichtliche und religiöse Hintergründe. Eine herausfordernde Situation, und trotzdem: viele tragen in sich die Hoffnung auf einen Neuanfang, auf ein anderes Leben, auf die Möglichkeit, sich etwas aufzubauen, irgendwann anerkannt zu sein, arbeiten zu dürfen. Für einige mag sich diese Hoffnung erfüllen, für andere nicht.
Ich gehe durch die Straßen. Es ist dunkel. Ich denke nach über all die Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, die unterwegs sind in der Fremde. Ich denke an Menschen bei uns mit Migrationsgeschichte wie unser Gast aus Kolumbien oder der junge, koptisch-orthodoxe Christ. Ich überlege, dass wir letztlich alle migrantische Wurzeln haben, denn den Urdeutschen gibt es nicht. Wir alle sind Nachfahren unzähliger Stämme und Völker, die zu unterschiedlichen Zeiten in dieses Land kamen, das wir heute Deutschland nennen. Ich denke an meine eigene Familiengeschichte, an meine Kinder, die in Indien geboren sind, weil meine Frau und ich dort viele Jahre gelebt haben. Für meine Kinder war damals Indien zuhause und Deutschland die Fremde. Ich denke an meinen Vater, der aus Südafrika kam, wohin unsere Vorfahren im 19. Jahrhundert ausgewandert waren. Ich denke an Freunde von mir, die heute in anderen Teilen der Welt leben, und ich denke an Freunde, die aus anderen Teilen der Welt kommend heute in Deutschland leben. Ich gehe am Bohlweg entlang. Eine Gruppe junger Männer kommt mir entgegen. Auf einmal fühle ich mich unsicher. Die Gruppe spricht untereinander eine andere Sprache. Sie wirken bedrohlich, Platz einnehmend. Ich will ihnen lieber ausweichen. Fühle mich fremd im eigenen Land. Da löst sich einer aus der Gruppe und kommt auf mich zu. Mein Atem stockt. Kurz vor mir bleibt er stehen. Mein Adrenalinpegel steigt. Kalter Schweiß bricht auf meiner Stirn aus. Er streckt mir seine Hand entgegen und sagt: „Hallo Herr Dedekind!“ Ich atme aus. Wir kennen uns.
Ertappt, denke ich. Auch ich bin nicht frei von Ängsten und Vorurteilen. Und trotzdem gilt mir als Christ, gilt uns als Kirche, immer wieder neu Vertrauen zu wagen, im anderen Menschen das Antlitz Gottes zu sehen, sich gegenseitig durch das Anderssein beschenken zu lassen; und mich wenigstens dafür einzusetzen, was der biblische Monatsspruch aus dem Buch Levitikus fordert:
„Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken.“ (Levitikus 19,33)
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch Februar 2025
Du tust mir kund den Weg zum Leben. - Psalm 16, Vers 11

Wenn ich einen guten Weg suche, dann öffne ich eine Karten-App mit Routenplanung, ob im Auto, auf dem Fahrrad, mit Öffis oder zu Fuß. - Klar, man kann sich auch an Straßenschildern, der Kompassnadel oder am Stand der Sterne orientieren. Vielleicht gibt es sogar jemanden mit Ortskenntnis. Eine Person, die ich fragen kann und die mir dann den Weg kundtut. Vielleicht werde ich einfach nur mit einer Handgeste grob in die richtige Richtung gewiesen. Vielleicht hat die Person genug Zeit und beschreibt mir den Weg möglichst detailgetreu in Worten. Am Besten ist es, mir begegnet jemand vertrauenswürdiges, der oder die bereit ist, mich auf meinem Weg zu begleiten. Dann habe ich jemanden an meiner Seite. Bin nicht allein, sondern da ist eine Person, die sich meiner annimmt und mich sicher zum Ziel führt.
Ähnliches gilt nicht nur bei der Wegfindung durch den dreidimensionalen Raum, der uns umgebenden Welt, sondern auch bei den intrinsisch-existentiellen Fragen meines Seins: Was ist nicht nur mein Weg durchs Leben, sondern mein Weg zum Leben? Wie finde ich meinen Lebensinhalt, mein Lebensziel?
Auch hierzu gibt es in der digitalen und in der analogen Welt viele Angebote. Manche seriös, manche überraschend kreativ, manche erschreckend stumpf und beängstigend eng.
Lese ich die Bibel, so finde ich durchaus gutes Orientierungsmaterial; Texte, die mir Wegweiser zum Leben sein können. Aber ohne Ortskenntnis, also ohne rechte Einordnung der biblischen Texte, kann ich mich auch hier verlaufen. Da ist es gut, wenn mir Menschen begegnen, die mir hier helfen können, die vertrauenswürdig und kenntnisreich sind.
Der beste Wegbegleiter zu meinem Leben, zu mir selbst und zum Leben an sich ist aber der, von dem es in Psalm 16, Vers 11 heißt:
Du tust mir kund den Weg zum Leben.
Der Beter des 16. Psalms teilt seine Erfahrung, dass es Gott selber ist, der ihm den Weg zum Leben offenbart.
Nicht nur der Weg ins Leben kommt von Gott, sondern auch der Weg zum Leben.
Gott begleitet eine jede und einen jeden von uns durch unser Leben, um uns zum Leben zu führen. Denn das Leben, das wir hier und heute leben, ist immer ein Leben unter dem Vorbehalt der Endlichkeit. Es ist ein Leben voll Schönheit, aber auch voll Leid. Es ist ein Leben voll Freude, aber auch voll Traurigkeit. Mit Gott als Begleiter an unserer Seite erahnen wir schon, dass unser Weg durch dieses Leben in all seiner Dialektik und Ambivalenz uns ein Weg zum Leben sein will: Zur Erkenntnis im Glauben, dass in Gott das Leben in Fülle ist. Zum staunenden Wahrnehmen seiner großen Herrlichkeit, von der wir in dieser, unserer Welt nur einen kleinen Abglanz dessen erleben, wie es einst sein wird. - Noch umgibt uns die nächtliche Dunkelheit dieser Welt, aber die ersten Strahlen eines neuen Morgens brechen sich schon Bahn.
Gott, Vater, ich will mich diesem Morgenlicht Deiner Verheißung zum Leben öffnen. Ich möchte mit Deinem Sohn den Weg durchs Leben gehen und im Vertrauen auf Dich mich führen lassen in Deinen Morgen, in die Herrlichkeit Deiner Gegenwart, in die Fülle des Lebens, zum ewigen Leben. – Amen.
Gedanken zu Jahreslosung und Monatsspruch im Januar 2025

Was nehmen wir uns nicht alles vor für das neue Jahr? Da ist ja wahrlich auch vieles, was anders, was besser laufen könnte. Häufig ist die Halbwertszeit unserer guten Vorsätze aber recht kurz und manch eine/r mag sich längst davon verabschiedet haben, sich vorzunehmen, etwas grundlegend zu ändern. Die Jahreslosung 1 Thessalonicher 5,21 fordert uns auf, doch noch einmal genau hinzuschauen, wie wir so leben, was wir so tun, wo wir unsere Prioritäten setzen:
Prüft alles und behaltet das Gute!
Zu Beginn dieses neuen Jahres erhalten wir aus der Bibel einen Prüfauftrag: Prüft alles! – Diese Aufforderung ist ehrlich gesagt deutlich umfassender als die Jahresendreflexion aus der sich sonst meine Vorsätze für das neue Jahr speisen. Es geht nicht mehr primär um die Frage, wie ich den Weihnachtsspeck wieder loswerde oder wie ich in dem ein oder anderen Punkt etwas verändern kann, sondern alles, wirklich A L L E S ist auf dem Prüfstand.
Wenn ich nun zu Beginn des Jahres versuche alles in den Blick zu bekommen, die Wirklichkeit in mir und die Wirklichkeit, die mich umgibt, dann ist das so viel, dass die Gefahr groß ist, es lieber gleich sein zu lassen. Wer alles versucht in den Blick zu nehmen, läuft am Ende in Gefahr, gar nichts mehr wahrzunehmen. Es braucht also als ein Kriterium, eine Maßgabe, eine Voraussetzung, an der ich alles prüfen kann; und diese gibt uns die Jahreslosung mit an die Hand. Alles, was dem Guten dienlich ist, das soll ich behalten. Alles, was nicht dem Guten dient, ist letztlich überflüssig.
Behalte ich nur das Gute, fällt sehr viel Ballast weg. Da hat sich in diesem Prüfungsverfahren das Alles schon ordentlich reduziert. – Natürlich bleibt dann immer noch sehr viel übrig, was dem Guten dient; - und das ist ja auch gut so!
Wer auch hier noch mehr Reduktion und Klarheit und Struktur wünscht, wird im Monatsspruch für diesen Januar fündig. Er steht bei Lukas im 6. Kapitel, die Verse 27-28:
Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen!
Segnet die, die euch verfluchen, betet für die, die euch beschimpfen.
Auch dieses eine Aufforderung. Auch dieses zunächst wohl eher eine Überforderung, was da Jesus seinen Anhängern abverlangt. Es stimmt schon, nur die wenigsten von uns werden in dieser Radikalität lieben und leben können; aber das heißt ja nicht, dass wir es nicht zumindest immer wieder versuchen.
Der Dreiklang von Lieben, Segnen, Beten ist auf jeden Fall dem Guten dienlich. Und ich bin zuversichtlich, dass je mehr wir diesen Dreiklang verinnerlichen, er uns und unsere Welt verändern wird. Und wer weiß, vielleicht sogar bis dahin, dass eines Tages wirklich die Liebe alle Feindschaften überwindet und wahrer Frieden einkehrt, weil wir denen, die uns hassen, Gutes tun, weil wir die, die uns verfluchen, segnen, weil wir für die, die uns beschimpfen, beten, weil wir gelernt haben sogar unsere Feinde zu lieben. – Was für ein guter Vorsatz! Was für ein Neubeginn! Was für eine Verheißung! Möge Gott uns dazu Liebe, Segen, Vertrauen schenken!
Ein frohes und gesegnetes Neues Jahr,
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch Dezember 2024
Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir! - Jes 60,1

Draußen ist es dunkel, nass und kalt. Mit etwas Glück immerhin so kalt, dass statt Regen Schnee fällt. Trotzdem, es ist die falsche Jahreszeit für Aufbruchsphantasien. Viel lieber mache ich es mir zuhause heimelig und gemütlich. Und doch gilt auch mir mitten in der dunklen Jahreszeit unseres Breitengrades das Wort des Propheten Jesaja, das in diesem Jahr über dem Monat Dezember steht:
Mache dich auf!
Also gut, nehmen wir mal an, ich mache mich auf, dann stellen sich mir zwei Fragen:
1. Warum soll ich aufbrechen? Und 2.: Wohin soll ich aufbrechen?
Die Antwort auf die erste Frage leitet Jesaja tatsächlich aus dem Umstand der Dunkelheit ab:
Mache dich auf, werde licht!
Allerdings meint Jesaja, wenn er überhaupt von der jahreszeitlichen Dunkelheit spricht, diese wohl eher metaphorisch. Ihm geht es nicht um Jahres- und Tageszeiten, sondern ganz existentiell um mich. Ich selbst soll licht werden! Soll hell werden! Soll leuchten!
Und wenn ich dazu explizit aufgefordert werden muss, ist es wohl offenkundig, dass ich es noch nicht bin. Vielleicht führe ich eher eine Schattenexistenz? Vielleicht habe ich mich im Dunkeln verlaufen? Vielleicht sitze ich in Finsternis? Vielleicht schlucke ich bisher eher das Licht als Licht zu spenden?
In die Dunkelheit der Welt und in meine persönlichen Finsternisse ruft Jesaja:
Mache dich auf, werde licht!
Wohin soll ich aufbrechen? Wohin soll ich mich wenden? Auf diese zweite Frage antwortet Jesaja mit einer zweifachen Bewegung. Ja, ich soll licht werden, mich dem Licht zu wenden, mich dem hellen Glanz der Herrlichkeit Gottes öffnen, das ist die eine Bewegung, die von uns ausgehen soll. Die andere Bewegung, die uns überhaupt erst das Licht als Gegenmodell zur Dunkelheit ermöglicht, die geht nicht von uns aus, sondern von Gott. Sie ist auch nicht abhängig von meiner Haltung und meinem Handeln, nicht einmal von meinem Glauben, sondern sie ist bereits gesetzt; und das ist die Bewegung Gottes in unsere Welt und auf jede und jeden von uns in unserer ganz persönlichen Lebenssituation zu:
Dein Licht kommt!
Es kommt, das Licht, das Gott für mich ganz persönlich hat. Gott macht meine Dunkelheit hell. Es steht nicht erst für die Zukunft aus, sondern der Prophet Jesaja verwendet den Präsenz, die Gegenwartsform:
Dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!
Und wie kommt es dein Licht? In dem die Herrlichkeit des HERRN, die Kabod Adonais, wie es im Hebräischen heißt, über einer und einem jeden von uns aufgeht.
So wie die Sonne aufgeht zu Beginn eines neuen Tages, so geht Gottes Herrlichkeit auf über uns. Erfüllt uns mit ihrem Glanz und mit Leben. Vertreibt das Dunkel der Nacht und alle finsteren Gedanken und schenkt uns im klaren Licht des Tages die Durchsicht, Einsicht und Erkenntnis, welche Schritte zu gehen sind, damit wir im Lichte Gottes wandeln.
Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!
Eine frohe und gesegnete Advents- und Weihnachtszeit im Lichte der Herrlichkeit Gottes,
Ihr/Dein
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch November 2024 – 2 Petrus 3,13
von Propst Lars Dedekind

Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.“ – 2 Petrus 3,13
Ich sitze am Bahnhof und warte. Ich sitze im Stau und warte. Ich sitze beim Arzt und warte. Die Zeit verrinnt und ich kann offenkundig nichts anderes tun, als zu warten. Keine von mir präferierte Situation. Ich warte nicht gerne. Bin lieber aktiv und möglichst effektiv. Aber Warten beinhaltet auch Potenziale. Ich bin gezwungen, Geduld zu üben. Bin gezwungen, meine Termine und mich neu zu sortieren. Wartezeiten können mich ins Nachdenken bringen, meine Priorisierungen hinterfragen und mir helfen, das in den Blick zu nehmen, was wirklich wichtig ist.
Was aber ist wirklich wichtig? Für den Schreiber des 2. Petrusbriefes ist das wirklich Wichtige, etwas das über die alltäglichen Aufgaben, Termine, Freuden, Sorgen und Herausforderungen weit hinausgeht. Es ist eine Perspektive die das Hier und Jetzt transzendiert und in Beziehung setzt, zu dem Einst und Dann, das uns verheißen ist: „ein neuer Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt.“
Zunächst ist das ein eschatologischer Ausblick, der den Bogen so weit spannt, dass er droht die Bodenhaftung mit unserer Wirklichkeit im Hier und Jetzt zu verlieren.
Und es stimmt ja, dass wir eine Hoffnung und Verheißung haben, die über das Ende unserer Zeit hinausweist. Für jede und jeden von uns persönlich mit Blick auf unsere eigene Endlichkeit in dieser Welt, aber eben auch für die Welt selbst, die so, wie sie ist, nach biblischem Verständnis eine vorläufige Schöpfung bleibt. Am Ende der Zeit also: „ein neuer Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt.“
Und in unserer Zeit? Auch für unser Leben gilt: Neues ist möglich. Etwas von dem neuen Himmel und der neuen Erde kann auch schon im Hier und Jetzt anbrechen, in meiner Zeit, in meinem Leben. Und es bricht dort an, wo Gerechtigkeit wohnt. Wo wir einander mit Achtung und Liebe begegnen. Wo wir füreinander einstehen, einander tragen und unterstützen. Wo es gelingt, nicht nur die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, sondern auch die der Anderen. Wo Vertrauen gewagt wird und Freundschaft wächst.
Deshalb will ich in dieser, meiner Zeit immer wieder neu geduldig auf die Erfüllung der großen Verheißung Gottes warten und mich doch auch schon jetzt an ihr orientieren und Seiner Gerechtigkeit Raum geben in meinem Leben und in dieser Welt. Dazu helfe mir Gott! – Amen.
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch Oktober 2024 – Klgl 3,22-23

„Die Güte des HERRN ist‘s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“ - Klgl 3,22-23
Ich mag die frühen Morgenstunden, wenn die Sonne langsam aufgeht und ihre Strahlen die Nacht vertreiben. Wenn sie Baum um Baum, Haus um Haus aus dem Dunkel schält und alles in das weiche Licht der frühen Stunde taucht. Wenn die Luft ganz rein und frisch ist und es um mich noch still ist.
Tief atme ich den neuen Tag in all seiner Schönheit, mit all seinen Möglichkeiten ein.
Und tief atme ich aus, lasse los, was an Dunklem des Vortages noch nachhing, befreie mich von Schwermut und Sorgen.
„Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu,“ wie wahr, denn aus Gottes Barmherzigkeit und Güte empfange ich jeden neuen Tag. Ohne Gottes Barmherzigkeit und Güte wäre weder dieser neue Tag, noch irgendein Tag. Ohne Gottes Barmherzigkeit und Güte wäre auch ich nicht.
Voll Staunen nehme ich wahr: Alles, was mich umgibt, ein Geschenk Gottes! - Alles, was ich bin, meine ganze Existenz, die Zeit, die mir gegeben ist, ein Geschenk meines HERRN.
„Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind.“ Die Güte des HERR ist’s, dass ich bin.
„Und deine Treue ist groß.“ Ja wahrlich, groß ist Gottes Treue. Auf ihn ist Verlass. Seine Zusage hat Bestand. Ihm kann ich vertrauen. Ihm kann ich glauben - jeden Tag meines Lebens, jeden Morgen neu.
Und wenn der Tag meines Lebens voranschreitet, wenn es Abend wird und der Tag sich neiget, wenn meine Kräfte schwinden? Dann will ich mit Zuversicht und voll Vertrauen auf den neuen Morgen hoffen, den Gott in seiner Güte und Barmherzigkeit uns in seinem Sohn Jesus Christus in Aussicht gestellt hat. An dieser Zuversicht im Glauben mache ich mich fest. Und mit dieser Zuversicht im Glauben kann dann auch der Herbst meines Lebens erfüllt sein vom lebendigen Licht der Hoffnung.
Einen gesegneten Oktober wünscht Ihnen und Euch,
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch September 2024 - Jer 23,23

Manchmal ist es wirklich nicht leicht. Da sind so viele Anforderungen, so viele widerstreitende Meinungen, so viel, was belastet, so viel, was potentiell oder tatsächlich ganz real eine Bedrohung darstellt, dass man sich am liebsten weit wegwünscht – in eine bessere, eine heile Welt. Einfach mal nicht zuständig sein. Die Verantwortung abgeben. Rückzug in kindliche Verhaltensmuster: Mama und Papa werden es schon richten; oder der Ruf nach einer starken Führungspersönlichkeit. Jemand, der mal auf den Tisch haut. Jemand, der aufräumt. Jemand, der sagt, wo es lang geht.
Für gläubige Menschen mag dieser Jemand in letzter Konsequenz Gott selber sein. Es ist dann eine Art Offenbarungseid. Da, wo ich es verbockt habe, bitte ich Gott, es zu richten. Da, wo wir als Gesellschaft oder auch als Kirche versagen, soll Gott mit seiner Allmacht übernehmen und unser Chaos ordnen.
Keine Frage, gemäß biblisch-mythologischer Überlieferung kann Gott das Chaos ordnen und aus dem Tohuwabohu den Raum schaffen, in dem Leben in all seinen Formen Existenz und Gestalt gewinnt.
- Aber wird das Gott und seiner Allmacht wirklich gerecht, wenn wir ihn quasi als magische Putzkolonne sehen?
- Ein Gott der mein Chaos aufräumt? Ein Gott, der mir immer dann helfend zur Seite steht, wenn ich ihn gerade brauche und der mich ansonsten in meiner Selbstverwirklichung möglichst nicht stören soll?
- Gehört zur Selbstverwirklichung nicht zwingend auch die Selbstverantwortung?
Ein Kind, um das Mama und Papa beständig schützend kreisen, für das sie alles tun, damit ihm ja nichts widerfährt, wie soll so ein Kind, sich selbst erfahren, wie selbstständig und eigenverantwortlich werden? Eine gute Begleitung unserer Kinder braucht Nähe und Distanz. Braucht das Zutrauen der Eltern, dass ihr beim Laufen gestürztes Kind trotz Tränen und blutigem Knie letztlich von selbst wieder aufsteht und nach kurzer Zeit den anderen Kindern wieder fröhlich lachend nachjagt. Keine gute Vorstellung, wenn aufgrund des ersten Sturzes die Eltern ihr Kind nun gar nicht mehr allein gehen ließen, sondern es nur noch an ihrer Hand halten würden.
Und was für die Beziehung von Eltern zu ihrem Kind gilt, das mag im übertragenen Sinne auch in der Beziehung zwischen uns und Gott gelten:
- Natürlich ist Gott uns in seiner Liebe nahe, aber er lässt uns auch den Raum, den wir brauchen, um eigene Erfahrungen zu machen, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen.
- Gott sieht uns nicht als unmündiges Kind, sondern nach seinem Antlitz gestaltetes Gegenüber.
- Wir sollen uns nicht an Gottes Rockzipfel hängen, sondern aus eigenen Stücken in verantwortungsvoller Liebe mit ihm verbunden sein.
Und so stellt Gott selbst in dem Monatsspruch aus dem Buch des Propheten Jeremia (Kap.23, Vers 23) folgende Frage:
„Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“
Nähe und Distanz, wie erlebst Du das in Deinem Leben und in Deiner Beziehung mit Gott?
Einen gesegneten Monat September wünscht
Ihr
Lars Dedekind, Propst.
Gedanken zum Monatsspruch August 2024 - Psalm 147,3

Letztes Jahr stand ich bei Sankt Peter-Ording am Strand. Es wehte eine steife Brise. Ich blickte aufs wellengepeitschte Meer. Kitesurfer durchschnitten die Gischt; flogen mit ihren Segelflügeln über das Wasser. Manchmal, wenn der Wind das Segel voll ergriff, hob der Surfer ab und wurde geradezu in den Himmel getragen. Was für ein faszinierendes Schauspiel! Was für ein schöner, aber auch gefährlicher Sport!
Liebe ist ein wenig wie Kitesurfen. Auch in der Liebe verlassen wir sicheres Terrain und wagen uns hinaus auf die Wellen des Lebens. Die Liebe verleiht Flügel, heißt es. Sie kann uns Energie und Freude schenken und uns geradezu in den Siebten Himmel heben. Doch bei aller Faszination, auch die Liebe ist ein Wagnis! Wer sich schon einmal ganz in Liebe riskiert hat, kennt auch ihre Kehrseite. Weiß auch um die Verletzungen, die mir die Liebe zufügen kann.
Auch die Bibel weiß darum. In dem in diesem Jahr für den Monat August ausgewähltem Psalmwort heißt es:
Der HERR heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden. - Ps 147,3
Wenn ich mir in meiner Liebe die Finger verbrannt habe, wenn mir die Flügel gestutzt wurden, wenn ich abstürze aus dem Siebten Himmel, wenn mir das Herz zerbricht und meine Gefühle wund geschlagen sind, weil die Liebe enttäuscht wurde oder gar zerbrach, dann ist Gott mit seiner Liebe immer noch da. Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind. Gott verbindet ihre Wunden. Das bekennt der Psalmist mit seinen Worten und das habe auch ich so immer wieder erfahren dürfen. Da, wo menschliche Liebe an ihre Grenzen kommt, bleibt Gottes Liebe als tragende Konstante. In meiner Ohnmacht, Traurigkeit, Enttäuschung, Wut darf ich mich von Gottes grenzenloser Liebe getragen wissen.
Und behutsam richtet Gott mich wieder auf, verbindet und heilt mich, schenkt mir neue Zuversicht und Kraft, lässt neues Zutrauen und Vertrauen in mir aufkeimen, so dass auch die Liebe wieder wachsen kann. Gott richtet mich auf. Gott verleiht mir Flügel. Ja, Gott lehrt mich zu lieben!
Möge Gottes Liebe für Sie/Dich in diesem Monat besonders erfahrbar sein,
Ihr/Dein
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch Juli 2024 – Ex 23,2
von Propst Lars Dedekind

Kennen Sie das noch? Früher haben wir das auf Fahrten in der Familie oder Jugendgruppe unendlich lange gespielt: „Ich packe meinen Koffer und nehme mit ...“ Reihum wurde stets ein weiterer Gegenstand für den Koffer ergänzt und immer mussten zuvor alle anderen Begriffe erinnert werden, die als Mitzunehmende benannt waren. „Ein Zelt, ein Rucksack, ein Reisebuch, Wanderschuhe, Badehose, Sonnencreme, Freunde, Familie und ...“ - Ja, und was nehme ich eigentlich noch mit?
Gute Laune wäre gut, denke ich.
Und was macht mir gute Laune? - Die richtige Musik, die mich über den Sommer begleitet. Ein Lied, das mich anspricht, emotional berührt und trägt. Ein solches Lied, das ich unbedingt in meinen Koffer packen und mitnehmen würde, egal wohin ich gehe, stammt aus der von Gregor Linßen komponierten Messe „Lied vom Licht“. Dort singt er (im Refrain):
„Wagt euch zu den Ufern, stellt euch gegen den Strom,
brecht aus euren Bahnen, vergebt ohne Zorn.
Geht auf Gottes Spuren, geht, beginnt von vorn.
Wagt euch zu den Ufern, stellt euch gegen den Strom.“
Genauso, denke ich, ist unser Gott. Er schenkt uns Mut und Kraft und Freiheit aufzubrechen, Neues zu wagen, aus gewohnten Bahnen auszubrechen und auch mal gegen den Strom zu schwimmen. Das macht mir Hoffnung in dieser Zeit, wo Gewissheiten ins Wanken geraten, wo Werte des Miteinanders scheinbar achtlos außer acht gelassen werden, wo mehr und mehr Menschen menschenverachtende Positionen einnehmen und es gar nicht mehr so sicher scheint, dass eine Mehrheit sich klar dem Unrecht entgegenstellt.
Ja, ich glaube, mir tun diese Liedzeilen gut und sie werden mich als mein persönliches Sommerferienlied begleiten. Gut tut aber auch die Klarheit des biblischen Wortes aus Exodus 23,2:
Du sollst Dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.
Also bleibt mutig und unverzagt! Hört auf Gottes Wort und stellt Euch nicht nur in den Urlaubstagen am Meeresstrand mutig gegen den Strom des anbrandenden Wassers, sondern in allen Lebensbezügen lasst uns nach Gottes Willen fragen, auf Gottes Spuren gehen, standhaft sein.
Lasst uns Streben nach dem, was vor Gott recht und gut ist, was Leben bewahrt und befördert, was Leid mindert und Frieden und Freude und Gerechtigkeit mehrt.
Ja, ich packe meinen Koffer und nehme mit ... dieses Lied:
„Wagt euch zu den Ufern, stellt euch gegen den Strom,
brecht aus euren Bahnen, vergebt ohne Zorn.
Geht auf Gottes Spuren, geht, beginnt von vorn.
Wagt euch zu den Ufern, stellt euch gegen den Strom.“
Ganzes Lied anhören (wagt euch zu den Ufern)
Gedanken zum Monatsspruch Juni 2024 – Exodus 14,13

„Sei furchtlos und tollkühn!“ steht auf einer Postkarte, die ich vor einiger Zeit in den Händen gehalten habe. Darauf ein kleiner Junge mit Fliegerbrille und weitem Umhang. In Anlehnung an die Supermann-Pose die Fäuste geballt, der eine Arm nach vorne ausgestreckt, der andere angewinkelt vor der Brust. Ein kleiner Superheld!
Ob das Rollenspiel als Superheld bei echter Gefahr weiterhilft? - Die Israeliten, die aus Ägypten geflohen waren, fühlten sich wohl eher nicht wie Superhelden. Sie waren in eine Sackgasse gelaufen: vor ihnen das Rote Meer und hinter ihnen die Streitwagen des Pharaos. Sie packte große Furcht, das blanke Entsetzen. Und sie suchten jemanden, den sie verantwortlich machen konnten für ihre aussichtslose Lage. Moses! Er, der ihnen eben noch als Retter und Held erschien, war nun an allem schuld. Er, Moses, hatte sie aus der Sklaverei in Ägypten hierher in die Wüste ans Ufer des Roten Meeres geführt. Voller Wut, Angst und Enttäuschung wenden sie sich an ihn. Und Moses?
Moses sagte: Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen und schaut zu, wie der HERR euch heute rettet!
Ob seine Worte wirklich gehört wurden? Ob sie durchdringen konnten durch die Mauern der Angst? Ob sie direkt etwas bewirkt haben in den Herzen der Menschen? Oder ob diese Worte erst im Nachhinein erinnert und festgehalten wurden? All das bleibt Spekulation. Wir wissen es nicht. - Trotzdem werden die Worte allein, ohne das, was danach folgte, sicherlich wenig Beachtung gefunden haben. Erst die Fortsetzung der Geschichte bewahrheitet den Wortinhalt. Und es wird deutlich weder die Israeliten noch ihr Hauptprotagonist Moses sind es, die hier furchtlos und tollkühn, erschreckend und rettend das Heft des Handelns führen, sondern Gott.
„Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen und schaut zu, wie der HERR euch heute rettet!“ - Ja, dieser Satz hat seinen historischen Kontext, aber nur einmal angenommen, er gelte auch uns, mir und Dir und tatsächlich allen Menschen...
Was wäre, wenn wir nicht auf menschliche Stärke und Macht, sondern auf Gott vertrauen würden? Wenn wir stehen blieben und zu Gott hinschauen würden? Würden wir dann unsere Furcht überwinden und Seiner Rettung vertrauen?
Und wenn wir erkennen, dass Gott retten will; dass Gott uns helfen will, unsere Fesseln der Sklaverei von Furcht und Kleinglaube und Misstrauen und Feigheit zu durchtrennen, was würde dann daraus für uns folgern? Wären wir dann nicht dazu aufgefordert, in unserem eigenen Denken und Tun anderen Raum zu geben? Andere frei zu setzen aus unseren Zuschreibungen und Festschreibungen? Anderen Raum zu geben zu einem gerechten und würdevollen Leben in Freiheit?
Das Wort Jesu zu Beginn seiner Wirksamkeit in Galiläa, es gilt auch heute: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“ (Vgl. Mk. 1,15) Oder um es noch einmal mit den Worten des Moses zu sagen: Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen und schaut zu, wie der HERR euch heute rettet!
Es sind große Worte des Zutrauens und Glaubens, die Moses hier spricht. Es sind große Worte, denen noch größere Taten Gottes folgen.
Ich glaube, dass dieser Gott auch heute noch lebendig unter uns und in uns wirkt und Großes hervorbringen kann und wird. Wo wir uns heute, wie einst die Israeliten, in tödlichen Sackgassen verlaufen haben, da gilt auch uns diese Zusage der Rettung:
Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen und schaut zu, wie der HERR euch heute rettet!
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch Mai 2024 – 1 Kor 6,12
von Propst Lars Dedekind

Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient mir zum Guten.
Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. - 1 Kor 6,12
Das sind steile Sätze, die der Apostel Paulus der jungen Gemeinde in Korinth schreibt: Alles ist mir erlaubt!
Großartig, denke ich da spontan. Was für eine Freiheit!
Die Ketten der Abhängigkeiten? Gesprengt!
Die Fesseln der Kompromisse? Durchtrennt!
Das Sich-klein-machen und Zurücknehmen, das ängstliche Schauen, bloß keinen Fehler zu machen, all das: überwunden!
Ich darf aufatmen, aufrecht gehen.
Ich darf mein Leben leben!
Alles ist mir erlaubt!
Beim längeren Betrachten dieser steilen Aussage stellt sich mir die Frage, ob so ein Alles-ist-mir-erlaubt denn als allgemeine Lebens-Maxim funktioniert. Denn, wenn allen alles erlaubt ist, dann wird es mit meinem eigenen Handlungsspielraum schon wieder ganz schön eng. Es wird chaotisch, wenn jede und jeder sich völlig frei auslebt, oder es etabliert sich eine Hackordnung, bei der einige wenige ihre Freiheit auf Kosten der Freiheit der anderen durchsetzen. Alles ist mir erlaubt, solange ich der Stärkste bin, solange ich bereit bin, meine Interessen ohne Wenn und Aber, ohne Skrupel durchzusetzen. Wohin das führt, wissen wir. Nicht in die Freiheit, sondern in Unterdrückung und Abhängigkeit.
Wer also, wie Paulus, die eigene Freiheit proklamiert und ausruft: „Alles ist mir erlaubt!“, der muss einen Wertekontext für die eigene Freiheit benennen, damit sie nicht zur Unfreiheit mutiert.
Paulus tut das. Er gibt der Freiheitsaussage zwei konditionierende Wertekontexte:
- Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient mir zum Guten.
- Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.
Wer für sich Freiheit fordert, wer Handlungsspielräume ausfüllen möchte, wer seine Ideen ausleben will, der ist aufgefordert, sich zu fragen, ob das was er oder sie da vorhat, wirklich zum Guten dient.
Freiheit ohne Verantwortung gibt es nicht. Als freier Mensch, dem alles erlaubt ist, muss ich mich dieser Frage stellen: Dient es mir (und anderen) zum Guten?
Und auch den zweiten Aspekt, den Paulus benennt, gilt es, zu bedenken. Denn wirklich frei bin ich nur dann, wenn ich aus eigener Motivation und Verantwortung handle. Deshalb ist es gut, sein eigenes Handeln sowohl daran auszurichten, was guttut, als auch daraufhin zu befragen, ob ich in meinem Tun selbstwirksam und eigenverantwortlich bleibe oder mein Handeln aus fremden Zwängen motiviert wird. Hat da etwas Fremdes Macht über mich gewonnen oder bin ich, in dem was ich tue, wirklich frei?
Wenn ich mir unsere Welt heute so anschaue, gewinne ich die Überzeugung, dass es sehr wichtig ist, sich selbst und auch andere immer wieder mit diesen zwei Fragen zu konfrontieren:
- Dient es mir zum Guten?
- Gewinnt es Macht über mich?
Die Band „Die Prinzen“ haben es in ihrem 2021 erschienen Album „Krone der Schöpfung“ so auf den Punkt gebracht:
„Dürfen, darf man alles, müssen, muss man nichts
Können, kann man vieles, doch was wollen wir eigentlich?“
Und Martin Luther bringt es in seiner 1520 erschienen Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ auf folgende Formel:
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Wirklich frei sind wir, wenn wir nicht nach eigenem Vorteil streben, sondern nach dem Guten, nach dem, was Leben ermöglicht und bewahrt.
Wirklich frei sind wir, wenn es nicht darum geht, andere klein und sich selbst groß zu machen, sondern ganz so, wie es Jesus von seinen Anhängern fordert (Mt 23,11. HFA): „Wer unter euch groß sein will, der soll allen anderen dienen.“
Wirklich frei sind wir, wenn wir uns einlassen auf die Kraft, die Quelle und das Ziel allen Lebens, auf Gott. - Wo Gott in unser Leben tritt, da ist wahre Freiheit, da ist mir alles erlaubt!
Nutzen wir die Freiheit, die Gott uns schenkt, und verändern wir uns und unsere Welt zum Guten, denn...
Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient mir zum Guten.
Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. - 1 Kor 6,12
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch April 2024 – 1 Petr 3,15
von Propst Lars Dedekind

Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von Euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt. - 1 Petr 3,15
„Allzeit bereit!“, so grüßen sich Pfadfinder und unterstreichen damit ihre Bereitschaft, stets bereit zu sein, anderen zu helfen.
Die Aufforderung, „jedem Rede und Antwort zu stehen“, ruft bei mir Bilder aus meiner Schulzeit hervor. Klar, als Schüler hatte ich meinen Lehrkräften gegenüber Rede und Antwort zu stehen, und doch kam es vor, dass man beim Tagträumen erwischt wurde und so gar nicht im Film war. Was hatte mich meine Lehrerin gerade gefragt? Wozu sollte ich Stellung nehmen? Ich habe da die ein oder andere Situation in meinem Gedächtnis abgespeichert, wo mir das nicht so besonders souverän gelungen ist, „Rede und Antwort zu stehen“. Wenn ich nun nicht nur einigen wenigen qua beruflicher Position Rede und Antwort zu stehen habe, sondern „Jedem!“, dann ist das für mich eher eine beklemmende Vorstellung.
„Rechenschaft“ schließlich, das klingt für mich noch bedrohlicher. Das eigene Tun und Lassen wird - wie in einem Verhör oder vor Gericht - angefragt und man ringt um Worte der Erklärung, der Verteidigung, versucht Rechenschaft abzulegen, warum man so und nicht anders gehandelt hat. Ich spüre geradezu wie mir die Hände feucht werden und meine Atmung flach. Nein, wenn von mir Rechenschaft gefordert wird, ist das für mich erst Mal keine schöne Vorstellung.
Aber werden diese, meine Erst-Assoziationen, eigentlich diesem Bibelwort für den Monat April gerecht?
Wahrscheinlich nicht. Wie so oft im Leben ist auch hier der rote Faden erst im Rückblick, also vom Ende des Satzes her, zu erkennen. Es geht hier gar nicht um etwaiges defizitäres Verhalten von uns, sondern es geht um das, was wir geschenkt bekommen haben, was uns erfüllt. Es geht um die Hoffnung!
Das macht unser Christsein aus, dass wir in unserem Glauben eine Hoffnung haben dürfen. Eine Hoffnung, die wir eben nicht exklusiv für uns behalten sollen, sondern die wir eingeladen sind, mit anderen zu teilen.
Unsere Welt braucht das Wort der Hoffnung, der Zusage, des Trostes, der Aufrichtung, des Zuspruchs. Und je mehr wir unsere Hoffnung mit anderen teilen, umso stärker wird sie. Breitet sich aus in der Welt und auch in mir selbst.
Hoffnung teilen ist im wahrsten Sinne des Wortes: ermutigend! Sie bestärkt mich in meiner Zuversicht, in meinem Glauben, dass Veränderung nicht nur nötig, sondern auch möglich ist.
Die Dunkelheit, die uns heute manchmal umgibt, ist nicht von unbegrenzter Dauer, sondern der Glanz des neuen Morgens bricht sich in unserer Hoffnung bereits Bahn. Umkehr ist möglich, Vergebung und Neuanfang, wo wir gescheitert waren. Denn die große Hoffnung, die wir seit dem ersten Ostern miteinander teilen, ist doch die, dass das Leben über den Tod gesiegt hat.
Der Herr ist erstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch im März 2024 – Markus 16,6
von Propst Lars Dedekind

Foto: Pixabay Bildagentur.
Offensichtlich haben beide Arten von Nachrichten eine Faszination:
- entzückende Bilder von verspielten Kätzchen,
- entsetzliche Bilder der Zerstörung und des menschlichen Leids.
Beide werden in den sozialen Medien tausendfach ge“liked“, erreichen hohe mediale Aufmerksamkeit.
Entzücken und Entsetzen sind beides gesteigerte Emotionen. Auf der Gefühlsskala einander diametral gegenüberliegend markieren sie Extremsituationen. Sie heben sich deutlich vom normalen Lebensalltag ab und sollten eigentlich in unserem Erleben die absolute Ausnahme sein.
Mit Einzug der digitalen, medialen Gleichzeitigkeit ungezählter Informationsimpulse hat sich hier etwas verschoben. Was in der Evolution des Menschen über Jahrtausende nur in äußerst seltenen Extremsituationen an Emotionalität hervorgerufen wurde, erleben wir beim Wischen über die Benutzeroberfläche der digitalen Kommunikations-Apps in Dauerberieselung. Kein Wunder, dass unsere Welt gerade aus den Fugen zu brechen scheint, dass Menschen immer aggressiver kommunizieren und die gesellschaftliche Mitte, die Bereitschaft einander zuzuhören und miteinander den Konsens zu suchen, verloren geht. - Zu viel Sorge. Zu viele Ängste. Zu viel Emotionalität.
„Entsetzt Euch nicht!“, so die Aufforderung des Bibelwortes für diesen Monat. Man könnte auch sagen: „Kommt runter von der Palme! Geht aufeinander zu! Redet miteinander! Hört einander zu! Wagt Vertrauen!“
Die, an die diese Worte zuerst gerichtet waren, waren drei Frauen. Sie waren emotional und existentiell zutiefst erschüttert. Die Hoffnung, die sie hatten, war ihnen genommen worden. Der, dem sie gefolgt waren, von dem sie so viel für sich und ihre Welt erwartet hatten, er war nicht mehr. Und jetzt stehen sie da in seiner Grabeshöhle, aber das Grab ist leer!
„Entsetzt Euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten.
Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“ (Markus 16,6)
Die Worte spricht ein fremder Jüngling in weißem Gewand zu ihnen. „Entsetzt Euch nicht!“, aber wie sollte das gehen? Denn ihnen ist gerade der Teppich unter den Füßen weggezogen worden. Ihre Welt steht Kopf. Sie waren gekommen, um seinen Leichnam mit Öl zu salben. Um ihm, der ihnen im Leben alles gewesen war, im Tod einen letzten Dienst zu erweisen. Sie suchten den, der verspottet, verurteilt und hingerichtet worden war: den Gekreuzigten; aber: er ist nicht hier. Er ist auferstanden! – „Entsetzt Euch nicht!“
Und wir? Wen oder was suchen wir? Was brauchen wir in dieser aufgeregten, sorgenvollen Zeit?
Vielleicht eben genau dieses Wort: „Entsetzt Euch nicht!“
Und vielleicht eben auch diese unglaubliche Hoffnung die über das Augenscheinliche hinausgeht, die die Gesetze und Beschränkungen unserer Wirklichkeit diametral durchkreuzt:
„Er ist auferstanden!“
Vom Tod zum Leben, vom Ende zum Neubeginn, von der Verzweiflung zur Hoffnung, vom Zweifel zum Glauben... nicht nur einmal, sondern täglich neu:
„Entsetzt Euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten.
Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“
Möge diese österliche Auferstehungskraft Dich und mich und unsere Welt durchdringen!
Frohe Ostern,
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zum Monatsspruch im Februar 2024
Der Monatsspruch für Januar aus 2 Timotheus 3,16: Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit.

Ganz ehrlich? So richtig gut abgeholt, fühle ich mich nicht von den biblischen Worten des Monatsspruchs.
Gottes Wort als Zurechtweisung? Gottes Wort, um mich zu erziehen und zu bessern? – Na, vielen Dank! Für wie defizitär werde ich denn hier gehalten? Sieht so das biblische Menschenbild aus? Wo bleibt das Zutrauen? Wo der Zuspruch? Wo die gute Nachricht?
Klar, diese Worte kommen aus einer anderen Zeit, einem anderen Kontext; und sie waren ursprünglich an jemand ganz anderen adressiert. Sie galten zunächst nicht uns, sondern diese Worte wollen gelesen sein als Teil einer testamentarischen Mahnrede in Briefform. Als Autor wird der Apostel Paulus genannt, als Empfänger sein Begleiter Timotheus. Die heutige exegetische Forschung geht jedoch mehrheitlich davon aus, dass nicht Paulus selbst Autor des Briefes war und somit der Brief auch nicht wirklich seinen Begleiter Timotheus im Blick hat. Adressaten des Briefes waren wohl vielmehr die jungen christlichen Gemeinden, die aufgrund der Ausbreitung der christlichen Botschaft entstanden waren. Es ging darum die Anhänger jener Gemeinden im Glauben zu unterrichten, ihnen im Schriftverständnis eine Grundlage zu vermitteln und sie so im Glauben zu stärken und auszurüsten, um Orientierung und Mitte zu finden, in den vielschichtigen religiösen Strömungen jener Zeit. Was machte am Ende den Unterschied aus? Woran sollte neben dem Bekenntnis zu Jesus Christus erkennbar sein, wofür diese jungen Gemeinden standen? - Die Textpassage unseres Monatsspruches verdichtet die Antwort auf ein Wort: Gerechtigkeit!
Und wenn die Welt um uns herum voll Willkür und Ungerechtigkeit wäre, so sind wir Christen damals wie heute doch gehalten, nach Gerechtigkeit zu streben. Wir mögen damit nicht immer erfolgreich sein und es wird auch manchmal schwierige Situationen geben, wo es eben nicht immer klar ist, welche Entscheidung eigentlich gerecht ist. Und doch gilt uns die Zusage der Gerechtigkeit Gottes; die Verheißung, dass das Gottes Reich, das dereinst sein wird, schon jetzt bruchstückhaft unter uns anbricht immer dort, wo wir Gerechtigkeit üben. Wo wir nicht unser Recht einklagen, sondern nach dem fragen, was es im Miteinander braucht. - Im Miteinander der Menschen. Im Miteinander mit der Natur. Im Miteinander mit Gott.
So gesehen will uns tatsächlich alle von Gott eingegebene Schrift in der Gerechtigkeit lehren und stärken. Und mit Blick auf unsere heutige Welt wäre so ein Studium der Gerechtigkeit sicherlich keine schlechte Idee!
Also noch einmal der Monatsspruch für den Februar aus 2. Timotheus 3,16, diesmal jedoch nicht in der oben zitierten Lutherübersetzung, sondern nach der neuen Züricher.
Dort wird der gleiche Vers, wie folgt, übersetzt:
Denn alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben, und dementsprechend groß ist auch der Nutzen der Schrift: sie unterrichtet in der Wahrheit, deckt Schuld auf, bringt auf den richtigen Weg und erzieht zu einem Leben nach Gottes Willen.
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Gedanken zu Jahreslosung und Monatsspruch im Januar 2024

Die Jahreslosung aus 1 Korinther 16,14:
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
Der Monatsspruch für Januar aus Markus 2,22:
Junger Wein gehört in neue Schläuche.
Vielleicht haben Sie in der Silvesternacht mit einem Gläschen Sekt auf das neue Jahr angestoßen? - Sekt, das ist junger Wein versetzt mit Hefe und Zucker. Er wird nicht in Schläuche abgefüllt, sondern auf Flaschen gezogen und verkorkt. Früher, zur Zeit des neuen Testamentes wurde Wein in Amphoren, Fässern oder eben in Schläuchen gelagert und transportiert. Als Schlauch benutzte man eine Tierhaut. Junger Wein wurde nicht in alte Schläuche gefüllt, da der durch natürliche Gärung sprudelnde Wein die alten, brüchigen Tierhäute schneller zu zerreißen drohte.
Der Kontext, in dem Jesus dieses Bild vom jungen Wein in neuen Schläuchen verwendet, ist letztlich die Frage nach seiner Person und warum sich seine Jünger anders verhielten als es vom damaligen religiösen Umfeld als angemessen erachtet wurde.
Jesu Antwort: Etwas gänzlich Neues kann nicht in den althergebrachten Mustern zum Ausdruck gebracht werden, sondern „gehört in neue Schläuche“, braucht neue Formen des Umgangs.
Und mit Blick auf das vor uns liegende neue Jahr? Auch hier tun wir gut daran, es nicht gleich mit allen althergebrachten Lasten und Verhaltensmustern zu überfrachten.
Geben wir 2024 eine Chance! Und geben wir damit auch uns die Möglichkeit neu und anders zu agieren und zu reagieren.
Sicherlich, das neue Jahr schließt sich nahtlos an das alte an. Die Probleme und Sorgen im Kleinen wie im Großen werden nicht einfach wie weggebelasen sein, sondern uns beharrlich auch in 2024 herausfordern.
Und doch, vielleicht gelingt er uns ja doch, der Neubeginn:
Neu hinsehen.
Neu einordnen.
Neu handeln.
Neues wagen. – Vielleicht im Sinne der Jahreslosung für 2024:
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
Möge so das neue Jahr ein gutes sein für Sie persönlich, für Ihre Lieben, für unsere Welt. Und mögen wir immer wieder neu uns von der Liebe Gottes getragen wissen und diese selber weitertragen, das wünsche ich Ihnen und uns allen!
Ein frohes und gesegnetes Neues Jahr,
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch Dezember 2023
Gedanken zum Monatsspruch Dezember 2023 – Eine Einladung zum Bibellesen

„Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.“ – Lk 2,30-31
Sehen und einordnen, das tue ich unendliche Male jeden Tag. Solange ich wach bin, nehmen meine Augen Dinge wahr und mein Verstand ordnet sie ein. Meist geschieht es völlig unbewusst. Ich sehe etwas und mein Gehirn sagt mir, was es ist. Ein Bleistift, ein Auto, ein Haus, ein Mensch. Das ist die automatisch aufgerufene Sachinformation auf der ganz basalen Ebene. Darüber legt sich eine zweite Ebene, bei der ich diese Sachinformation mit weiteren Erfahrungen und Möglichkeiten abgleiche. Ist der Bleistift angespitzt? Kann ich ihn nutzen? Fährt das Auto langsam oder schnell? Ist es noch weit genug weg, um die Straße zu kreuzen? Ist das Haus groß oder klein? Wer wohnt in ihm? Freunde oder Fremde? Und der Mensch, dem ich gerade begegne, ist er mir wohlgesonnen? Will er mir Böses oder Gutes?
Jeden Tag sehe ich vieles, das ich einordne. Manches richtig. Manches falsch. Manches auch gar nicht, weil es nicht weiter verhaftet ist, in meiner Wahrnehmung, in meiner Erinnerung. Genau das macht es so schwierig, wenn jemand z.B. als Zeuge vor Gericht zur Aussage aufgerufen ist. Das, was ich wahrgenommen habe, muss nicht wahr sein. Erst wenn mehrere Zeugen, sich in dem, was gesehen wurde einig sind, wird rekonstruierbar, was tatsächlich geschehen ist. Und selbst dafür gibt es keine Garantie. Denn gerade bei der Deutung des Gesehenen, können auch mehrere Menschen gründlich daneben liegen. Es ist also gar nicht immer so einfach, herauszufinden, was ich wirklich gesehen habe und bezeugen kann.
Trotzdem braucht es natürlich Zeugen und das nicht nur vor Gericht. In ganz vielen Bezügen meines Lebens verlasse ich mich darauf, was andere Menschen sehen und einordnen, beim Arztbesuch zum Beispiel, oder bei der Brandschutzbegehung eines Gebäudes oder bei dem, was mir mein Freund gerade erzählt. Ich höre, was andere sagen und schenke ihnen und ihrem Zeugnis Glauben; zumindest solange es meinem Erfahrungshintergrund nicht völlig zuwiderläuft. Ich vertraue meinem Arzt. Ich vertraue dem Brandschutzbeauftragten. Und meinem Freund vertraue ich sowieso.
Auch die Bibel ist voll von Berichten über das, was Menschen gesehen, für sich eingeordnet und bezeugt haben. Ein solcher Mensch aus der Bibel ist Simeon, von dem es im Lukasevangelium heißt, dass er ein gerechter und gottesfürchtiger Mann war. Ihm, so wird berichtet, war vom Heiligen Geist verheißen worden, dass er nicht sterben würde, bis er den Christus gesehen habe. - Der Name „Simeon“ ist hier geradezu Programm, denn er bedeutet in unserer Sprache: „Gott erhört“. Und Simeon wurde erhört. Er bezeugt, mit seinen eigenen Augen den Heiland gesehen zu haben. - Es geschieht (vgl. Lk 2, 22-35), als Maria und Josef ihr Kind, Jesus, gemäß dem damaligen Brauch nach dem Gesetz zum Tempel nach Jerusalem bringen. Dort begegnete ihnen jener Simeon und nahm ihr Kind auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
„Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.“
Simeon sieht. Simeon ordnet das Gesehene ein. Simeon bezeugt, in Jesus den Heiland gesehen zu haben, das Heil, das Gott vor und für alle Völker bereitet hat. Simeons Aussage über Jesus ist ein Glaubenszeugnis. Er glaubt, er vertraut darauf, dass ihm in jenem Kind das Heil der Welt, der Christus begegnet ist. Mit dieser Einordnung, mit diesem Glaubenszeugnis werden wir konfrontiert, wenn wir diese Zeilen lesen. Wir werden dadurch aufgefordert, dieses Zeugnis für uns ebenfalls einzuordnen. Können wir das, was Simeon sagt, glauben? Vielleicht sind wir skeptisch? Immerhin wir wissen nicht viel über diesen Simeon. Ist sein Zeugnis allein schon überzeugend? Vielleicht bedarf es weiterer Zeugen?
Weitere Zeugen zu hören, dazu lädt die Bibel ein. Ein Buch mit vielen Berichten von ganz unterschiedlichen Menschen, die zu unterschiedlichen Zeiten gelebt, gesehen und ihre verschiedenen Wahrnehmungen und Erfahrungen eingeordnet haben. Nicht aus einem Guss, sondern vielfältig und divers wie Lebenslagen und Menschen eben verschieden sind. Es lohnt sich, diesen Schatz an Erfahrungen und Deutungen zu heben. Es lohnt sich, genau und kritisch hinzuschauen und das dort Festgehaltene mit dem eigenen Erlebtem und Erfahrenem abzugleichen, die Glaubwürdigkeit der Zeugnisse zu prüfen.
Vielleicht ist gerade die Adventszeit dazu geeignet? Jetzt, wo es draußen früh dunkel wird. Jetzt, wo wir es uns gerne gemütlich machen. Vielleicht bei Gebäck und Tee? Beim Kerzenschein des Adventskranzes oder Tannenbaumes? Einfach einmal sich die Zeit gönnen und in Ruhe die Geschichten und Zeugnisse der Bibel lesen. Oder sich mit anderen zusammensetzen und mit Ihnen gemeinsam über das reden, was da geglaubt und bezeugt wird.
Sehen und einordnen, ich habe das zu meinem Beruf gemacht. Habe Theologie studiert und setze mich immer wieder neu, auch kritisch mit den Texten der Bibel auseinander. Ich kann für mich sagen, dass ich die Bibel als großes Geschenk menschlicher Zeugnisse von Gott erlebe. Und ich wünsche mir, dass diese Texte von möglichst vielen Menschen gesehen, gelesen, eingeordnet und mit dem eigenen Leben und Erleben in Bezug gebracht werden.
Ob auch Du Dich mit diesen biblischen Zeugnissen auseinandersetzen möchtest, ist natürlich Deine freie Entscheidung. Die Einladung, es einfach einmal auszuprobieren, steht. Und, wer weiß, vielleicht gehen einem beim Lesen die Augen auf? Ein neues Sehen, Einordnen, Vertrauen und Glauben; und ich mag mit Simeon Gott loben und sagen:
„Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.“
Eine frohe und gesegnete Advents- und Weihnachtszeit,
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch November 2023
Gedanken zum Monatsspruch von Propst Lars Dedekind
„Er allein breitet den Himmel aus und geht auf den Wogen des Meers. Er macht den großen Wagen am Himmel und den Orion und das Siebengestirn und die Sterne des Südens.“ – Hiob 9, 8-9
Wer am Ufer des Meeres steht und über die wogende Gischt die schiere Weite des Himmels bis zum fernen Horizont erfasst, wer nachts den Sternenhimmel beobachtet und Himmelskörper, Sterne und Sternzeichen erkennt, der erahnt vielleicht etwas von der großen Kraft Gottes, die alles macht, erhält, verändert.
Nach biblischem Zeugnis bringt Gott Ordnung in das Ur-Chaos des Tohuwabohus. Er scheidet Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Wasser und Land. Gott ist die Quelle des lebendigen Wassers, Ursprung und Ziel allen Seins. Auch unsere eigene Existenz kommt von Gott und kehrt zu Gott zurück. Unsere Zeit liegt in seinen Händen. Er begleitet uns durch die Höhen und die Täler unseres Lebens.
So hoffen und glauben wir mit dem biblischen Zeugnis, aber so empfinden und erleben wir es nicht immer.
Auch der Kontext im Buch Hiob, aus dem der diesjährige Monatsspruch für den November stammt, ist deutlich anders gesetzt als das, was wir uns unter einem glücklichen und erfüllten Leben vorstellen. Der Mensch, der hier die Größe und Allmacht Gottes lobt, sitzt wortwörtlich in Staub und Asche. Alles, was er hatte, ist ihm genommen worden, nicht nur seine materiellen Güter hat er verloren, sondern seine Familie, Frau und Kinder. Er sitzt mit Krankheit geschlagen da und hadert mit seinem Schicksal: Wo ist Gott an diesem Tiefpunkt seines Lebens? Warum hat Gott das zugelassen?
Im ganzen Buch Hiob geht es um diese Frage des Warums, um die Frage nach dem Leid in unserer Welt und warum Gott, wo er doch so groß und allmächtig ist, dieses zulässt.
Viele kluge Menschen haben über diese Frage der Theodizee, der Frage: warum ein gerechter Gott Ungerechtigkeit und Leid zulässt, nachgedacht. Eine rational überzeugende Antwort scheint bislang keiner gefunden zu haben. Was mich aber an der Geschichte des Hiob fasziniert, ist, dass dieser - trotz alles Erlebens von unerklärbarem Leid - an Gott festhält. Mitten in seinem Schmerz, in seiner Trauer, in seinem Leiden preist er Gottes Macht:
„Er allein breitet den Himmel aus und geht auf den Wogen des Meers. Er macht den großen Wagen am Himmel und den Orion und das Siebengestirn und die Sterne des Südens.“
Im Festhalten an Gottes Allmacht gewinnt Hiob mitten in seinem Leid einen Ankerpunkt. Statt sich selbst und damit auch Gott aufzugeben, führt das Festhalten an Gott zu einer neuen Handlungsoption, nämlich: sich Gott hinzugeben, sich Gott aktiv anzuvertrauen. Nicht in einer magischen Erwartungshaltung eines Quid-pro-quo, eines Ich-schenke-Gott-meinen-Glauben und dafür wird Gott mich heilen, mich wiederherstellen. Das Sich-Gott-anvertrauen des Hiob ist vollständige Hingabe, ist bedingungsloses Zutrauen zu Gott und Gottes Willen. Es baut darauf, dass Gott gerade die schweren Wege mitgeht und dass am Ende jeder Lebensweg in Gott mündet. Es akzeptiert die Endlichkeit jeglicher irdischen Existenz und vertraut die eigene Existenz dem Ewigen an.
Durch Schmerz und Leid und Tod hindurch trägt dieses Vertrauen, trägt dieser Glaube an den Gott, der mitgeht - nicht nur in den Sonnenstunden des Lebens, sondern eben gerade auch im Schmerz, im Leid und im Sterben.
Allem Tohuwabohu, allen Chaosmächten setzt der Mitgehende und mitleidende Gott seine Liebe entgegen.
Diese bedingungslose Liebe Gottes trägt, auch wenn der Boden wankt. In ihr kann ich mich bergen. Und selbst in der größten Beklemmnis und Enge kann mir diese Liebe den Raum weiten ... „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges; weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“
– Röm 8, 38-39
Ihr
Lars, Dedekind, Propst
Monatsspruch Oktober 2023
„Seid Täter des Wortes und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.“ - Jak 1,22

Gedanken zum Monatsspruch
Es ist Abend. Draußen ist es dunkel. Ich sitze an meinem Schreibtisch. Eine Lampe wirft ihr Licht auf die Tastatur meines Laptops, während ich diese Zeilen schreibe. Heute Vormittag war ich mit Freunden im Wald. Die Sonne hat geschienen. Es war noch einmal richtig warm. Der Wald war noch üppig grün. Sommerlich fühlte sich das an. Aber es wird Herbst. Auf dem Weg unter meinen Füßen erstes frisches Laub und unter das Grün der Blätter mischt sich erstes Gelb und goldenes Braun. Der Herbst steht vor der Tür. Und ab jetzt werden die Stunden des lichten Tages immer weiter abnehmen und die Dunkelheit der Nacht sich ausbreiten: erst in die frühen Stunden des Abends, dann bis in den Nachmittag hinein. Wo die Dunkelheit zunimmt, intensiviert sich die Kraft des einzelnen Lichts, wird sichtbar selbst das kleinste Licht, das in den hellen Sommerstunden nicht wahrnehmbar war, weil es von der Kraft der Sonne überstrahlt wurde. Nun aber ist es wirksam, erfüllt seinen Zweck.
Manchmal bezeichnen sich Menschen als „kleine Lichter“. Sie wollen damit sagen, dass sie nicht so wichtig sind; dass sie nichts ändern können an den Verhältnissen; dass ihr Einfluss so unerheblich ist, dass sie nicht ins Gewicht fallen. Die Bibel sieht das anders. Die Worte aus dem Jakobusbrief, die über dem diesjährigen Monat Oktober stehen, sprechen hier von Selbstbetrug. Als Menschen in der Nachfolge Christi, als Kinder des Lichts dürfen und sollen wir aktiv sein. Das Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern es scheinen lassen. Wir sollen nicht nur hören, was uns die Bibel erzählt, sondern wir sollen „Täter des Wortes“ sein. „Walk the Talk!“ heißt eine englische Redewendung, die dazu auffordert, das, was sonntäglich von den Kanzeln gepredigt wird, auch in unserem Leben umzusetzen. Es reicht nicht von der Erlösung zu reden, sondern sie will erfahren und gelebt sein. Es reicht nicht abstrakt vom Guten zu reden, sondern es gilt dem Guten nachzustreben. Nicht, dass uns das immer gelingt. Aber besser ein mutiger Versuch, der scheitert, als eine komplette Verweigerung der Unterstützung, des Beistands, der helfenden Tat. „Pecca fortiter, sed fortius fide!“ – „Sündige tapfer, aber tapferer noch sei im Glauben!“, hat Martin Luther gesagt und damit zum Handeln aufgerufen, selbst auf die Gefahr hin, dass sich das Tun als Falsch, als Sünde herausstellt, solange denn der Glaube an Gott, an seine Liebe und Erlösung in Christus unser Tun bestimmt. Nichts tun hat schließlich auch seine Auswirkung und entbindet uns nicht von unserer Verantwortung.
Unsere Welt heute wirkt in mancherlei Hinsicht nicht nur jahreszeitlich herbstlich. Es scheint als ob die Dunkelheit zunimmt. Gerade jetzt aber gilt es selber „Täter des Wortes“ zu sein. Gerade jetzt gilt es unser kleines Licht zu entzünden und erstrahlen zu lassen. Gerade jetzt gilt es, zu leben, was wir als Kirche glauben und predigen. „Walk the Talk!“ – oder um es mit Jakobus zu sagen:
„Seid Täter des Wortes und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.“
Ein weiterer Text kommt mir zu dem Monatsspruch aus Jakobus 1,22 in den Sinn. Es sind Worte, die ich erstmals in der Redeemer Lutheran Church, einer afro-amerikanischen Kirchengemeinde in Minneapolis, USA während meines Vikariats gehört habe und die mich seitdem immer wieder begleiten und bewegen. Der Friedensnobelpreisträger und ehemalige Staatspräsident Südafrikas Nelson Mandela hat sie bei seiner Antrittsrede 1994 verwendet. Ursprünglich stammen sie von der US-amerikanischen Schriftstellerin Marianne Williamson. Sie sagt:
„Unsere tiefgreifendste Angst ist nicht,
dass wir ungenügend sind,
unsere tiefgreifendste Angst ist,
über das Messbare hinaus kraftvoll zu sein.
Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit,
die uns am meisten Angst macht.
Wir fragen uns, wer bin ich schon,
mich brillant, großartig, talentiert, phantastisch zu nennen?
Aber wer bist Du, Dich nicht so zu nennen?
Du bist ein Kind Gottes.
Dich selbst klein zu halten, dient nicht der Welt.
Es ist nichts Erleuchtetes daran, sich so klein zu machen,
dass andere um Dich herum sich nicht unsicher fühlen.
Wir sind alle bestimmt, zu leuchten, wie es die Kinder tun.
Wir sind geboren worden, um den Glanz Gottes,
der in uns ist, zu manifestieren.
Er ist nicht nur in einigen von uns,
er ist in jedem einzelnen.
Und wenn wir unser Licht erscheinen lassen,
geben wir anderen Menschen die Erlaubnis,
dasselbe zu tun.
Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind,
befreit unsere Gegenwart automatisch andere.“
(Text aus Marianne Williamson: Rückkehr zur Liebe, Goldmann Verlag, München)
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch September 2023
Mt 16,15b
„Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“
Matthäus 16,15b
Wer neu hinzuzieht, neu in einer Firma seine Arbeit aufnimmt, der wird sich in der Regel vorstellen wollen. „Ich bin der Herr Dedekind“, würde ich zum Beispiel sagen und sicherlich noch etwas mehr über mich erzählen. Im Laufe der Zeit würde man mich immer besser kennenlernen und Nachbarn und Kollegen würden sich ein eigenes Bild von mir machen.
Trotzdem, so geradeheraus, wie Jesus es hier tut, habe ich die Menschen um mich herum noch nie gefragt: „Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“
Eine spannende und eine mutige Frage. Was sagen andere über mich?
Wahrscheinlich würde Fremd- und Selbstwahrnehmung nicht immer deckungsgleich sein. Wahrscheinlich wären mir nicht alle Antworten recht. Manche Aussage, die andere über mich treffen, mag mich verletzen, manche erscheint mir selbst völlig an der Realität vorbei. „Das bin doch nicht ich!“
Jesus stellt diese Frage: „Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“
Er stellt sie seinen engsten Vertrauten, seinen Jüngern, nachdem sie ihm erzählt hatten, was andere so über ihn dachten.
„Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“ Und Petrus antwortet: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“
In Jesus den Christus, den Sohn Gottes zu erkennen und zu bekennen, geschieht nicht aus eigener Kraft und Einsicht, sondern bedarf der Gnade des Heiligen Geistes. Es ist auch kein einmaliges Bekenntnis, sondern täglich neu, gilt mir die Frage Jesu: „Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“ - Und auch wenn ich mir die Antwort des Petrus zu eigen mache, resonieren die Worte je nach meiner eigenen Lebenssituation mit unterschiedlicher Akzentuierung:
Jesus ist mir Freund und Wegbegleiter, Retter und Heiland, Gottes Sohn und Menschensohn. Mal nah, mal fern, aber immer da. Immer für mich da! In Jesus Christus erfahre ich Gottes ausgestreckte Hand, Gottes Ja zu mir und ich bekenne:
„Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch August 2023
Ps 63,8

Gedanken zum Monatsspruch August 2023 von Propst Lars Dedekind
Du bist mein Helfer, und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich. – Ps 63,8
Sommerzeit ist Urlaubszeit. Innehalten. Kraft schöpfen. Neues entdecken.
Sommerzeit, das ist Halbzeit des Jahres. Rückblick und Ausblick. Was war? Was kommt?
Sommerzeit, das ist das pralle, volle Leben. - Das Licht der Sonne durchflutet mich. Ich tanke Wärme für den Winter. Speichere in mir das Licht des Sommers für die langen, dunklen Winternächte. Sammle in dieser Zeit der Fülle für karge Tage.
Jetzt bin ich fröhlich, denn ich spüre: Gott ist da.
Gott umgibt mich in der Schönheit der üppig sprießenden Natur. Gott füllt und durchdringt mich mit jedem Atemzug, mit jedem Schlag meines Herzens.
An manchen Tagen fühle ich mich wie auf Adlers Fittichen getragen. An anderen Tagen fühle ich mich unter dem Schatten seiner Flügel vor der Hitze des Tages geborgen.
Es gibt aber auch Tage, da ist Gott mir fern. Da ist Gott mir fremd. Da bin ich mir selbst fremd. Und doch ist Gott auch da bei mir. Gott lässt mich nicht im Stich. Gott eilt mir zu Hilfe. Gott ist da – in den schönen und in den schweren Stunden. Ist mir Stütze und Kraft auch da, wo ich seine Gegenwart nicht gleich erkenne.
Was auch immer ich gerade erlebe, wie auch immer ich mich selbst erlebe, ob ich inbrünstig bekenne oder zweifelnd, fragend nach Gott Ausschau halte – die Worte des 63. Psalms laden mich ein, sie nachzusprechen, mitzusprechen. Mich einzureihen in die lange Kette derer, die vor mir mit diesen Worten ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen und so Gott angeredet haben:
Du bist mein Helfer, und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich.
Ich wünsche mir und Ihnen, dass diese Worte zu unseren eigenen Worten werden. Dass wir lernen, darüber zu reden, wie wir Gottes Gegenwart und Hilfe erfahren. Dass wir unsere Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass wir unter dem Schatten seiner Flügel geborgen sind.
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch Juli 2023
Gedanken zum Monatsspruch von Propst Lars Dedekind

Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet.
(Mt 5 V.44-45)
Endlich Sommerferienzeit! Für viele Zeit zum Durchatmen. Zeit für einen Tapetenwechsel: Raus aus dem gewohnten Trott; raus aus der gewohnten Umgebung; rein ins Urlaubsvergnügen. Ob Berge oder Meer, in jedem Fall eine andere Szenerie. Ein anderer Horizont. Neues, Ungewohntes umgibt mich und ermöglicht mir, mich selber neu und ungewohnt zu erleben. Ermöglicht mir Gewohnheiten zu durchbrechen, Neues zu wagen und eventuell sogar Neues an mir und in mir selbst zu entdecken.
Neu und ungewohnt - ja mehr: geradezu unerhört! - ist auch das biblische Wort Jesu aus dem Matthäusevangelium.
Liebt eure Feinde!
Das sagt sich so leicht und ist doch so schwer. Im gewohnten Lebensalltag, in der Logik unserer Welt ist kein Platz für die Feindesliebe. Liebte ich meine Feinde, würde ich mich verletzlich machen, angreifbar. Wäre das keine Kapitulation? Wäre das nicht eine Niederlage? Würde ich damit nicht alles aufgeben und verraten, wofür ich doch stehe und einstehe?
Liebt eure Feinde!
Das ist wie ein steiler, hoher Gipfel oder die schier unendliche Weite des Meeres. Es ist eine Vision, die so groß ist, dass ich sie nicht fassen kann. Eine Herausforderung, die meine Möglichkeiten übersteigt. – Das ist doch völlig klar, oder?
Tatsächlich scheinen wir Menschen ansonsten die Herausforderungen des scheinbar Unmöglichen zu lieben. Kein Berggipfel und sei er noch so steil und hoch, der nicht längst von jemanden erklommen wäre. Kein Meer und sei es noch so weit, das nicht längst durchfahren wäre. Selbst den Mond haben wir besucht und manche planen bereits die Reise zu anderen Planeten. Es scheint, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Grenzüberschreiter, das sind wir im Großen und im Kleinen. Es scheint ein Teil dessen zu sein, was uns als menschliche Spezies ausmacht, immer neue Herausforderungen zu suchen und die Grenzen des Machbaren stets weiter auszudehnen. Da scheint, unsere Abenteuerlust, Kreativität und Leistungsbereitschaft groß zu sein. Selbst Leiden nehmen wir da in Kauf und sogar das Risiko des Scheiterns mit der finalen Konsequenz des Todes. Wenn wir also so wagemutig sind in vielen Bereichen des Lebens, warum zögern wir bei diesem Wagnis so sehr? Warum nicht einmal ausprobieren gerade jetzt in dieser nicht nur von den äußerlichen Temperaturen erhitzten Sommerzeit?
Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen!
Natürlich wird da keiner einfach nur einen Schalter umlegen müssen und schon ist alles rosarot. Das Ersteigen von Berggipfeln, das Durchfahren der Meere, die Mondlandung und alle anderen extremen Herausforderungen, denen Menschen sich letztlich erfolgreich gestellt haben, brauchten ebenfalls viel Zeit der Übung. Aber mit dem Ziel vor Augen haben sich Menschen daran gemacht, Lösungsansätze zu finden, selbst wenn dies bedeutete, eigenes Verhalten zu ändern, Fehlschläge in Kauf zu nehmen und manchmal über Jahre hinweg immer wieder neu das Ziel in den Blick zu nehmen, um letztlich die Herausforderung zu meistern.
So ähnlich mag es sein, wenn wir uns auf diese Aufforderung Jesu einlassen. Es wird sich kaum gleich alles wandeln und, wo eben noch Missgunst und Hass, Misstrauen und Angst waren, wäre nun plötzlich alles eitel Sonnenschein und pure Liebe. Aber für unsere Feinde, für die, die uns verfolgen, zu beten, das könnte wohl ein Anfang sein.
Wahrnehmen nicht nur mein Misstrauen, sondern auch das meines Gegenübers.
Wahrnehmen nicht nur meine Ängste, sondern auch seine.
Wahrnehmen nicht nur meine Bedürfnisse, sondern auch ihre.
Wahrnehmen nicht nur meinen Wunsch nach Sicherheit, sondern erkennen: wir teilen diesen Wunsch.
So wie ich leben möchte, so auch mein Gegenüber.
So wie ich ein Recht auf Freiheit und Entfaltung habe, so auch mein Gegenüber.
Mit dieser Haltung ist noch nichts über Feindesliebe gesagt, aber es wächst doch zumindest ein größeres Verständnis füreinander und daraus vielleicht sogar Vertrauen und eines Tages, so Gott will, auch die Liebe, die aus Feinden Freunde macht. - Naiv? Oder eine der letzten großen Herausforderungen für unsere Spezies?
Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet.
So sei es. Amen.
Monatsspruch Juni 2023
Genesis 27,28

Gedanken zum Monatsspruch Juni 2023 von Propst Lars Dedekind
„Wünsche sind wie Schall und Rauch“, sagt der Volksmund. Sie haben keine Substanz, keinen Bestand. Sie bringen Hoffnungen, Träume, Visionen zum Ausdruck. Sprechen davon, wie es sein könnte, aber eben nicht ist. Gleichzeitig haben Wünsche aber auch eine Wirkmacht. Sie bringen meine Gedanken und Gebete zum Ausdruck und wirken bewusst oder unbewusst auch auf mein Handeln. Unterdrücke ich einen für mich wichtigen Wunsch, kann ich daran leiden, sogar erkranken. Wünsche zu formulieren und zu kommunizieren, gehört zu den besonderen Kriterien, die unsere menschliche Spezies auszeichnen. Wünsche sind eine Humankompetenz. Mir meiner Wünsche bewusst zu werden, kann mich und andere motivieren, kann bestehende Verhältnisse im Miteinander verändern und neue Realitäten schaffen. Entwicklung und Fortschritt werden aus Wünschen geboren, die das Bestehende hinterfragen und Anderes zu hoffen wagen.
Viele Wünsche sind ganz profan. Man kann sie abarbeiten, wie den Wunschzettel zu Weihnachten. Es gibt aber auch die ganz großen Wünsche. Groß, weil sie eben nicht durch mich allein realisierbar sind. Groß, weil sie meine Möglichkeiten übersteigen. Solche großen Wünsche, in denen ich für andere Gutes, Starkes, Beständiges, Veränderndes, Bewahrendes, Schützendes etc. erhoffe, nennt die Bibel Segen. Diese Segenswünsche sind so groß, dass es nicht allein der zwischenmenschlichen Dimension bedarf, sondern eine dritte Kraft wird hier adressiert: Gott!
Der Monatsspruch für den Juni 2023 aus Genesis 27,28 ist so ein Segenswort:
„Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.“
Mit diesen Worten segnet Isaak am Ende seines Lebens seinen Sohn. Allerdings empfängt nicht Esau, der erstgeborene, diese Worte, sondern Jakob, der zweitgeborene Sohn. Diese Geschichte voller Dramatik und Intrige vermittelt neben vielem anderen auch die Einsicht, dass eben nicht jeder Wunsch sich so erfüllt, wie von uns gedacht. Der erblindete Isaak hatte diese Worte Esau zugedacht, doch Jakob zugesprochen. Der einmal formulierte Segen hat Bestand. Das Wort gilt. Es ist nicht rückholbar. - Eine Erfahrung, die die meisten von uns wohl auch schon mal gemacht haben. Man hat etwas gesagt, was nun seine ganz eigene Wirkmacht entfaltet und schließlich zu etwas führt, was gar nicht gewollt war. „Hätte ich mir nur auf die Zunge gebissen!“, denkt man dann manchmal im Nachhinein.
Ob Isaak ebenso gedacht hat, überliefert die biblische Geschichte nicht. Aber sie macht deutlich, dass unsere Wünsche eben nicht immer so in Erfüllung gehen, wie wir es uns erhoffen. Die Erwartung Isaaks, dass sein Segenswunsch exklusiv nur der von ihm auserwählten Person, auf seinem erstgeborenen Sohn Esau gilt, wurde durchkreuzt und so macht diese Geschichte deutlich, dass Gottes Segen größer ist, als unsere Vorstellungen darüber, wer denn Segen empfangen soll und wer nicht.
Im Laufe der gesamten biblischen Überlieferung wird immer klarer, dass Gottes Segen tatsächlich nicht nur einigen wenigen Auserwählten gilt, sondern allen Menschen. Gottes handeln an und in dieser Welt ist universal. Selbst wenn es unmittelbar zunächst um die Zuwendung zu einzelnen Personen oder Menschengruppen geht, gilt Gottes Segen letztlich allen, will Gott die ganze Welt versöhnen und ihr seinen Frieden, sein Heil und seine Gerechtigkeit bringen.
So wie Gottes universaler Segen nach dem biblischen Zeugnis zumeist ganz konkreten Personen in ihren jeweiligen Lebenssituationen zugesprochen wird, so sind auch wir dazu eingeladen den Segen Gottes nicht nur pauschal, sondern auch ganz konkret und direkt Menschen in unserem Umfeld zuzusprechen. Die poetischen Segensworte Isaaks können da für uns ein Beispiel sein, Wortbilder zu finden, die den Wunsch formulieren, wie es anders, wie es besser sein könnte für mich, für andere, für diese, unsere Welt:
„Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.“
Gottes Segen formuliert nicht so etwas wie den Mindestsatz zum Lebenserhalt, sondern Gottes Segen verheißt die Fülle. Die Fülle schon heute im Hier und Jetzt, in unseren Bedürfnissen, den leiblichen und den seelischen.
Die Fülle aber auch in dem, was noch aussteht. Die Fülle, als Zusage für den vor mir liegenden Weg. Nicht im Sinne materiellen Ballasts (der mag mir auf dem Weg vielleicht sogar hinderlich sein!), sondern die Fülle seiner selbst, seiner Gegenwart, seiner Liebe, seines Friedens.
Ich bin nicht allein! Der Tau des Himmels benetzt bereits den Weg, den ich gehe. Seine Fürsorge ist wie Fett der Erde. Gott selbst ist bei mir jeden Atemzug meines Lebens. Das ist die große Segenszusage, die uns allen gilt!
Gott hat sich in Jesus für uns gegeben. In ihm ist der Segen Gottes lebendig. Er ist das Korn, das in die Erde fällt, damit es Frucht bringt. Er ist das Brot und der Wein, in dem wir Gemeinschaft erfahren untereinander und mit ihm. – In Gott ist Segen in Fülle!
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch Mai 2023

Eine klare biblische Ansage, die uns in diesem Jahr durch den Wonnemonat Mai begleiten will:
Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun, wenn deine Hand es vermag. - Spr 3,27
Tue Bedürftigen Gutes, das steht im Zentrum dieser Ansage.
Warum dann aber die zwei Ergänzungen: „weigere dich nicht“ und „wenn deine Hand es vermag“?
Offenkundig reichte die knappe Aufforderung, Gutes zu tun, den biblischen Redakteuren des Buches der Sprüche nicht. Vielleicht hatten sie zu oft erlebt, dass die Aufforderung zur guten Tat allein, nicht das gewünschte Resultat zeitigte, obwohl sich Menschen sicherlich auch schon zu biblischen Zeiten grundsätzlich für gute Taten ausgesprochen haben. Damals wie heute spricht schließlich nichts gegen eine gute Tat. Ganz im Gegenteil, die allermeisten Menschen finden gute Taten gut.
Aber so eine ganz allgemeine Aufforderung zur guten Tat bringt einen noch lange nicht dazu, selber Gutes zu tun. Schließlich sind da ja noch so viele andere. Die könnten das sicherlich viel besser als ich. „Da ist sicherlich einer, der mehr weiß, mehr kann, mehr hat... - Ach ja, und gerade ist es auch zeitlich ganz ungünstig für mich...“
Es gibt viele Argumente, warum ich zwar Gutes-Tun grundsätzlich begrüße, leider selber es aber gerade jetzt nicht umsetzen kann. Immerhin ich bin ja dafür. Ich bin ja nicht dagegen; und so schreibe ich mir selbst einen Freibrief und ziehe ohne schlechtes Gewissen meines Weges. Merke nicht einmal, dass ich im Unrecht bin, dass ich am Anderen schuldig geworden bin, weil ich ja theoretisch durchaus bereit war, Gutes zu tun.
Was hier zählt, ist aber nicht die grundsätzlich theoretische Bereitschaft, sondern allein die Tat. Deshalb: „Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun, wenn deine Hand es vermag.“
„Wenn deine Hand es vermag“, hier kommt dann doch noch eine kleine Einschränkung. Denn es mag ja Situationen geben, wo mir tatsächlich die Mittel und Wege zur Hilfe, zur guten Tat fehlen. Allerdings werden diese Situationen die absolute Ausnahme sein. Gutes Tun ist fast immer möglich. Ich mag nicht allein in der Lage sein, dem Bedürftigen aus allen Aspekten der Bedürftigkeit zu befreien, aber Gutes kann ich ihm oder ihr schon tun, in dem ich nicht weg-, sondern hinschaue, mir Zeit nehme, zuhöre, etwas teile, unterstütze, freundlich und zugewandt bin und dort, wo ich nicht weiterkomme, an die Hilfe verweise, die andere Personen oder Institutionen bieten. Auch vermag ich, meine Hände zu falten und die Bedürftigen mit ihren Nöten in mein Gebet aktiv mit einzuschließen. – So viele Möglichkeiten, so viele Wege, Gutes zu tun!
Ich möchte das gerne umsetzen, mit wachen Augen für die Nöte anderer durchs Leben gehen und Gutes tun, wenn meine Hand es vermag.
Und ich möchte selber Gutes empfangen, wo ich bedürftig bin. Denn letztlich bin ich doch immer beides, Gebender und Empfangender.
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch April 2023
Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende. - Röm 14,9

Gestorben. In dem Wort schwingt vieles mit: Traurigkeit und Trauer, Hilflosigkeit und Wut. Hier ist etwas unwiederbringlich zu Ende gegangen. Der Mensch, der eben noch mitten im Leben war, mit dem ich vielleicht vieles erlebt habe, ist nicht mehr unter uns. Ich bleibe zurück, bin von ihm oder ihr getrennt durch den Tod.
Genau dieses haben auch die Menschen erlebt, die dem Wanderprediger aus Nazareth, die Jesus, den sie für den Messias, den Gesalbten, den Christus gehalten hatten, nahe standen, nun aber seinen Tod und sein Begräbnis erleben mussten. „Christus ist gestorben.“ Grausame Realität. Enttäuschung aller mit ihm verknüpften Hoffnungen. Der Schlussstrich. Das Ende.
„Gestorben und begraben. Hinabgestiegen in das Reich des Todes“, in diesen Worten bringt unser Apostolisches Glaubensbekenntnisses zum Ausdruck, was die Anhänger Jesu Christi an jenem ersten Karfreitag erfahren hatten.
Doch es bleibt nicht bei dieser einen Aussage. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Dem „Gestorben“ wird eine zweite Aussage hinzugefügt, die der ersten diametral gegenübersteht. Sie geht über unser Verstehen hinaus. Sie macht aus dem Letzten, das Vorletzte, überwindet das unwiederbringlich zu Ende Gegangene und verwandelt den Schlussstrich zu einer Linie, die die Trennung und damit den Tod im wahrsten Sinne des Wortes durchkreuzt. Denn nun heißt es nicht länger nur „gestorben“, sondern „gestorben und lebendig geworden“!
„Christus ist gestorben“. Eine Aussage, die zwar Traurigkeit und Trauer hervorrufen mag, die aber letztlich in ihrer Nachvollziehbarkeit nicht überrascht. Das Überraschende, das Unerhörte, das völlig Andere, radikal Neue liegt in dem was folgt: „...und lebendig geworden“!
„Lebendig geworden“ das ist eine passive Formulierung. Hier klingt an, dass dort, wo es um Tod und Leben geht, eine andere Größe, eine andere Kraft als unsere eigene begrenzte, menschliche am Werk ist. Nicht wir sind das Subjekt, das dieses Handeln wirken könnte, sondern Gott ist es.
Gott schenkt uns unser Leben schon jetzt in der Begrenztheit dieser Welt und einst in der Ewigkeit. Gott hat Jesus Christus, seinen Sohn, lebendig werden lassen, damit dieser Herr sei über Tote und Lebende. Dadurch dass Christus den Tod überwunden hat, ist er zum Herrn des Lebens geworden. In ihm und durch ihn finden Tote und Lebende Zugang zum Ewigen Leben. Das ist die großartige Verheißung, die Paulus hier zum Ausdruck bringt und die wir an Ostern feiern.
Gesegnete Ostern!
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch März 2023
Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? – Römer 8,35

Kennen Sie das noch? „Verliebt. Verlobt. Verheiratet. – Geschieden.“ Diese in vier Worte komprimierte Bilanz so mancher Paarbeziehung, wurden auf dem Pausenhof gerne denen hinterhergerufen, die es wagten ihre Zuneigung in der Öffentlichkeit zu zeigen. - „Wahrheit kommt aus Kindermund“, heißt es.
Woran aber liegt es, dass die menschliche Liebe so unbeständig ist? - Denn eigentlich wollen doch alle, dass die Liebe von Dauer ist, dass sie trägt.
Vielleicht liegt die Unbeständigkeit menschlicher Liebe darin begründet, dass unsere Liebe nie bedingungslos ist. Unsere Liebe ist immer auch verknüpft mit Hoffnungen und Erwartungen. Daran ist auch nichts auszusetzen. Es ist gut Hoffnungen und Erwartungen zu haben. Ohne irgendetwas zu hoffen, ohne jegliche Erwartung, wären unsere Beziehungen nun wahrlich nicht reicher, sondern so arm, dass man sich zurecht fragen kann, ob man dann überhaupt noch von Liebe sprechen könnte. Da aber nicht all unsere Hoffnungen und Erwartungen erfüllbar sind, bleibt in unseren menschlichen Liebesbeziehungen immer auch ein Faktor der Enttäuschung, des Missverstanden oder nicht so angenommen seins, wie eigentlich erhofft. Gelingt es diese Enttäuschungen gut zu verarbeiten, mag auch unsere zwischenmenschliche Liebe lange währen, aber ihre Beständigkeit muss immer wieder neu errungen werden.
Ganz anders die Liebe Christi! Sie ist tatsächlich bedingungslos. Sie ist anders als viele behaupten, eben nicht daran geknüpft, wie wir uns verhalten. Die göttliche Liebe können wir uns nicht verdienen. Wir können sie auch nicht exklusiv nur für uns beanspruchen. Sie gilt allen Menschen. Die Liebe Christi ist ein Geschenk, das bereits zugestellt ist. Sie ist schon vorhanden. Es liegt an mir, ob ich sie auch annehme, das Geschenk auspacke.
Diese beständige, ja ewige Liebe Christi umfasst Anfang und Ende nicht nur meiner Existenz, sondern allen Seins. Sie konkretisiert sich in der Hingabe Jesu Christi am Kreuz. Durch seinen Kreuzestod ist die ganze Schöpfung erlöst und auch wir, auch Du, auch ich.
„Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“, so fragt Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom die dortigen Christen. - „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“ Und seine Antwort? Nichts! Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes. „Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist!“ (Röm 8,38f)
So umfänglich, so groß, so stark ist diese Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, dass sie auch für uns hier und heute schon alles verändern kann. Inmitten unserer Wirklichkeit von Enttäuschungen und Leid, Gefahren und Tod gilt die Zusage der Liebe Gottes in Jesus Christus. Bei aller Unbeständigkeit, die wir erfahren, Seine Liebe ist beständig. Das ist die gute Nachricht nicht nur für diesen Monat März 2023 und die in ihm liegende Passionszeit, sondern für jeden Monat, jeden Tag und jede Stunde unseres Lebens: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist!
Ihr
Lars Dedekind
Monatsspruch Februar 2023
Sara aber sagte: Gott ließ mich lachen. - Gen 21,6
Lachen. - Lachen ist gesund. Es stärkt die Abwehrkräfte, es senkt den Stresspegel und zudem werden durch das Lachen körpereigene Botenstoffe wie Dopamin, Serotonin und Endorphine ausgeschüttet, die das Glücksgefühl steigern. Folglich ist in der jüngeren Gesundheitsforschung Lachen ein nicht wegzudenkender Bestandteil des wissenschaftlichen Diskurses. Gleichzeitig scheint es mir, als ob heute weniger gelacht wird als früher. Natürlich gibt es dafür Gründe. Da ist ja in der Tat Vieles, das nicht zum Lachen ist. Und doch, wenn Lachen uns so gut tut und wir als Kirche eine frohmachende Botschaft (=Evangelium) haben, dann sollte fröhliches Lachen viel häufiger vorkommen, als es wohl gemeinhin auch bei uns der Fall ist. Oder erinnern Sie sich, wann Sie das letzte Mal in einem Gottesdienst so richtig herzhaft gelacht haben? - Sehen Sie, ich habe es geahnt, dass es nicht nur mir so geht.
Anders die Ahnfrau Sara. Sie lacht. Sie kann sogar über sich selbst lachen, dass sie nun im hohen und betagten Alter gegen alle Wahrscheinlichkeit doch noch Mutter geworden ist. Und es scheint sie auch nicht zu stören, dass andere über sie lachen könnten. Sollen sie doch. Ihre Freude wird dadurch nicht geschmälert, denn ihr Lachen hat einen Grund, ihre Freude einen Verursacher: „Gott ließ mich lachen.“
Nicht jede und jeder von uns mag auf so wundersame Weise eine Erfüllung der eigenen Wünsche und Hoffnungen erleben, wie es uns die Bibel von Sara und Abraham erzählt, aber wir alle haben so wie Sara in Gott einen Grund, eine Ursache zur Freude. – Der dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard hat die Frage: „Was ist Freude und wann ist man froh?“, wie folgt, beantwortet: „Wenn man sich selbst in Wahrheit gegenwärtig ist. Dass man ist, dass man heute ist, das ist Freude.“
(Quelle: Kierkegaard, Die Lilien auf dem Felde [Lilien paa Marken]. Drei Beichtreden, 1848/49. III. Freude)
Unsere Existenz, unser Sein selbst, ist vielleicht das größte Wunder, dessen wir in unserem Leben gewahr werden können. Es ist Grund für Dank und Freude an allen Tagen meines Lebens, den guten und den schweren. Ich bin von Gott gewollt. Ich bin vor Gott und vor dieser Welt einzigartig und unendlich wertvoll. Ich bin kein Zufall, keine Laune der Natur, sondern geliebtes Kind Gottes. Und wo ich mir dessen ganz tief in meinem Herzen bewusst bin, da darf sich auch die Freude über das Geschenk des Lebens Bahn brechen, und ich stimme in Saras Worte mit ein: „Gott ließ mich lachen.“
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Jahreslosung 2023 und Monatsspruch Januar 2023
Die Jahreslosung: Du bist ein Gott, der mich sieht. - Gen 16,13. Der Monatsspruch: Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut! - Gen 1,31

Zu Anfang des Jahres 2023 zwei biblische Worte, ein Kerngedanke: Gott sieht!
Der Gott der Bibel ist nicht blind. Er schaut uns an. Er guckt genau hin. Er übersieht nichts und niemanden. Eine klare Aussage, die man als Zusage oder als Drohung deuten kann.
Als Drohung, wenn man sie im Sinne George Orwells dystopischen Romans „1984 – Big brother is watching you“ versteht. Dann wird Gottes wachsames Auge zu einem Instrument, das uns bis in unsere Träume und Gedanken verfolgt. Gott sieht alles! Nichts entgeht seinem Blick. Jeder Fehler, jeder schwache Moment wird genau vermerkt und gegebenenfalls gegen mich verwendet. Gnadenlos gerecht sitzt der alles sehende Gott über uns zu Gericht. Was für ein schreckliches Bild! Ich bin mir sicher, so ist Gott nicht.
Gott, wie ihn uns die Texte der Bibel nahe bringen, kommt uns entgegen. Er optiert für uns fehlbare Menschen mit seiner Liebe und Gnade. Gott schaut uns an, weil eine Jede und ein Jeder von uns ihm unendlich lieb und wertvoll sind. Gott schaut uns an und alles, was er geschaffen hat und sagt: „Siehe, sehr gut!“
Gottes liebevoller Blick ruht wohlwollend auf mir, das ist für mich ein guter Gedanke, den ich mit in dieses neue Jahr nehmen möchte. Nicht für mich allein, sondern zum Teilen und Mitteilen. Als Hoffnungsansage und Liebeszusage für diese geplagte Welt. Denn der wohlwollende Blick Gottes schenkt Vertrauen und Zutrauen, gibt Zuversicht und ermutigt zum Handeln.
Möge 2023 so ein gutes Jahr in der Liebe und im Segen des Gottes werden, der mich und Dich und unsere Welt sieht; und mögen wir erkennen, wo und wie wir das Unsrige dazu beitragen können. Denn es ist ja wahr, da ist noch viel Luft nach oben in unserem Tun und Handeln für ein besseres Miteinander in und für diese Welt.
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch Februar 2022
Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen: Gedanken zum Monatsspruch im Februar 2022

Zürnt ihr, so sündigt nicht;
lasst die Sonne nicht
über eurem Zorn untergehen.
Epheser 4,26
Kennen Sie noch die Werbung mit dem HB-Männchen? Die Karikatur eines schnell aufbrausenden Hitzkopfs, der seinen Zorn, seine Wut nicht unter Kontrolle hat und wie eine tickende Zeitbombe stets in die Luft zu gehen droht. Oder vielleicht kommt Ihnen auch eher der Friederich aus dem Struwwelpeter in den Sinn? „Der Friederich, der Friederich der war ein arger Wüterich!“
Klar, beides sind Karikaturen, die bewusst überzeichnen. Und doch wird gerade in der Überzeichnung etwas besonders deutlich: Wer sich dem Zorn hingibt, wer von der Wut übermannt wird, gerät in Gefahr, die Kontrolle über sich und sein eigenes Handeln zu verlieren. Zorn ist kein guter Ratgeber. So manche Freundschaft würde heute noch bestehen, so manche Ehe wäre nicht zerbrochen, ja selbst manch gewaltsame Auseinandersetzung zwischen einzelnen Gruppen oder ganzen Völkern hätte verhindert werden können, wäre man in der Lage gewesen, den Zorn im Zaum zu halten.
Zorn sei eine „kurze Geisteskrankheit“ die der Vernünftige vermeiden müsse: "Machen wir uns frei von diesem Übel! Reinigen wir unseren Geist! Rotten wir aus, was selbst aus noch so zarten Trieben überall da wieder emporschießt, wo es Wurzeln treiben kann!", so Seneca.
Biblisches Wort und römische Philosophie sind sich hier scheinbar einig wie sonst selten: Es gilt, den Zorn zu überwinden, ihn gar auszurotten. - Doch stimmt das? Beinhalten Wut und Zorn nicht vielleicht auch eine sinnvolle Komponente? Ist es wirklich besser, das, was uns auf die Palme bringt, mit stoischer Gleichmut zu ertragen, Frustrationen, Konfrontationen und allen sonstigen emotionalen Ballast einfach nur zu schlucken?
Man muss kein Psychiater oder Psychologe sein, um zu erkennen, dass so eine Unterdrückung und Verinnerlichung von Aggressionsstressoren auf die Dauer nicht hilfreich sein kann. Die unterdrückte Wut agiert sich dann in unserem Körper aus und ihre zerstörerische Kraft wirkt auf unsere Psyche und Physis ein und kann zu schwerwiegenden Erkrankungen führen.
Also, allen Frust einfach immer nur schlucken, ist keine Lösung! – Was aber dann?
Hier hilft ein zweiter Blick auf den biblischen Monatsspruch aus dem Epheserbrief: „Zürnt ihr, so sündigt nicht.“ Schaut man genau hin, wird erkennbar, dass der Zorn hier gar nicht negiert wird. Ganz im Gegenteil: Der Zorn wird geradezu als Möglichkeit menschlichen Ausdrucks vorausgesetzt. In bestimmten Situationen ist die Wut, der Zorn einfach eine Realität. Dieses wird im Epheserbrief ganz ohne Wertung zugestanden. Aber wenn Du zornig bist, dann sündige nicht!
Sünde. - Noch so ein schwieriges Wort! Was aber bezeichnet dieses Wort im biblischen Sprachgebrauch?
Die gängige Deutung im Sinne körperlicher Begierden greift hier eindeutig zu kurz. Denn Zorn und Begierde wollen nicht so recht zusammenpassen. Sprachwissenschaftlich ist der Begriff der „Sünde“ mit dem deutschen Wort „Sund“ verwandt, also einer Meeresenge zwischen zwei Landmassen. Es ist eine Barriere, ein Abgrund, ein Graben der hüben und drüben trennt. Genau das meint auch der theologische Begriff der Sünde. Sünde ist das, was uns von Gott trennt. Wir sündigen dort, wo wir uns bewusst oder unbewusst gegen Gott wenden, wo wir die Brücken einreißen zu der Quelle des Lebens, uns der göttlichen Liebe verschließen.
Der Epheserbrief fordert uns auf, selbst im Zorn die Verbindung mit Gott zu halten. Wir dürfen, ja wir sollen uns sogar mit unserer Wut, unserem Zorn an Gott wenden. Die Psalmen des Alten Testamentes sind voll der an Gott gerichteten Klagen und Vorwürfe. Wir dürfen die Brocken unseres Lebens, unseren Ärger und Frust vor Gott hinwerfen, ihm unseren Zorn zumuten. Gott hält das aus! – Und so fordert uns der Epheserbrief dazu auf, uns in unserem Zorn nicht von Gott abzuwenden. In den Situationen des Lebens, wo es um das Eingemachte geht, wo einem die Galle überläuft, gerade da, wo ich unmittelbar emotional betroffen und berührt bin, ist Gott mir nicht ferne. Gott ist da keine abstrakte himmlische Größe, sondern er begegnet mir vielleicht gerade in meinem Gegenüber, der oder die mich bis ins Innerste herausfordert, überfordert und mich erzürnt.
„Zürnt ihr, so sündigt nicht“, kann also zweierlei bedeuten:
1. Gott hält meine Wut aus. Ich darf meinen Zorn an Gott richten.
2. Auch in dem oder der Anderen, die mich erzürnt, mag mir Gott begegnen.
Trotz meines Zorns sollte ich mich von dieser Person möglichst nicht vollständig abwenden, nicht die Brücken abreißen, sondern nach dem reinigenden Gewitter, der emotionalen Entladung versuchen, neue Brücken zu bauen; ganz im Sinne des letzten Teiles dieses biblischen Wortes:
„Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.“
Gebet
Wir bitten Dich, Gott,
bleib Du uns zugewandt, selbst wo wir mit unserer Wut nicht mehr weiter wissen.
Höre unsere Verzweiflung, unsere stillen und lauten Schreie des Zorns.
Hilf uns in den Herausforderungen und Überforderungen des Lebens,
dass wir das Vertrauen zu Dir, zu einander und zu uns selbst nicht verlieren.
Und lehre uns, unseren Zorn zu überwinden, eingerissene Brücken neu zu bauen
und Dein Antlitz in dem oder der Anderen zu erkennen,
so dass die Sonne nicht über unseren Zorn untergeht
und Vergebung und Neubeginn möglich werden. – Amen.
Gottes Frieden und Segen wünscht
Ihr
Lars Dedekind, Propst
Monatsspruch Januar 2022
Kommt und seht: Gedanken zu Jahreslosung und Monatsspruch im Januar 2022

Die Jahreslosung aus Johannes 6,37:
Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.
Der Monatsspruch für Januar aus Johannes 1,39:
Jesus Christus spricht: Kommt und seht!
Zwei Worte Jesu begleiten uns am Anfang dieses neuen Jahres. Beides Worte aus dem Johannesevangelium. Beides Worte, die uns einladen:
„Kommt!“, so spricht Jesus damals zu den Menschen seiner Zeit – und zu allen Menschen jeder Zeit.
Die Einladung steht. Jesu Tür ist weit offen. Nicht nur einen kleinen Spalt, nicht nur für einige wenige Berufene, nicht nur für die Elite, die Einflussreichen oder die besonders Frommen. Nein, Jesus macht die Tür hoch und die Tor weit, damit alle kommen und sehen können, dass er niemanden abweist.
„Kommt und seht!“
„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, sagt Jesus.
Vielleicht sind Sie, bist Du jetzt gar nicht verwundert, sondern denkst: „Na ja, was anderes hätte ich jetzt auch gar nicht erwartet. Natürlich ist Jesus für alle da, natürlich weist er niemanden ab.“
Aber so selbstverständlich, wie das klingt, ist es wahrlich nicht. Vielmehr war und ist diese Einstellung Jesu geradezu revolutionär! Damals wie heute wurde und wird unterschieden nach Staats- oder Volkszugehörigkeit, nach Rang und Status, nach Geschlecht, nach Loyalität, nach politischer Einstellung, nach Religionszugehörigkeit.
Es gab und gibt klare Zuständigkeiten, Verantwortungsbereiche, Positionen, die Klarheit und Sicherheit bieten, aber eben auch eingrenzen und begrenzen. Dass Jesus diese Kategorisierungen durchbricht, dass er ALLE zum Kommen auffordert, dass er zusagt, niemanden abzuweisen, der oder die zu ihm kommt, das war und ist eine Herausforderung auch für die, die in seiner Nachfolge stehen, für uns als Individuen und als Kirche.
„Kommt und seht!“
„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, sagt Jesus – und was sagen wir?
Was bedeuten diese Worte Jesu angesichts heutiger Herausforderungen? Was bedeuten sie mit Blick auf die großen Fragen nach Freiheit und Frieden? Was mit Blick auf die Verteilung von Bildung, Wohlstand und wirtschaftlichen Gütern? Was mit Blick auf Umwelt-, Klima- und Generationengerechtigkeit? Was angesichts der aktuellen globalen Pandemielage? Und was mit Blick auf die vielen Menschen, die auf der Flucht sind?
Was heißt, „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, angesichts kenternder Flüchtlingsboote und ertrinkender Flüchtlinge auf dem Mittelmeer?
Was heißt „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“ mit Blick auf die Menschen, die voller Sorge und Angst sich anderen verschließen und niemanden aufnehmen wollen?
Wie schaffen wir es als Individuen, als Gesellschaft und auch als Kirche niemanden in seinen Sorgen und Nöten abzuweisen, sondern immer wieder neu und mutig das „Kommt und seht!“ allen anzubieten?
Nein, es ist gar nicht selbstverständlich, was Jesus hier sagt und was er uns vorgelebt hat. Es bleibt eine Herausforderung, die nur allzu häufig anstößt und aneckt. Aber wer einmal für sich selbst erlebt hat, wirklich in Christus angenommen zu sein, der braucht sich weder vor sich selbst noch vor anderen zu fürchten. Wer so gefestigt ist, wird sich der Kritik stellen können, wird Meinungsdifferenzen aushalten und die Tür trotzdem offen halten. Wird nicht abweisen, sondern zuhören und vielleicht auch ganz Neues wagen.
Das gibt mir Kraft und Zuversicht, zu wissen, dass Gott für mich da ist. Zu Jesus darf ich kommen, so wie ich bin, er wird mich nicht abweisen. In ihm finde ich Geborgenheit, Ausrichtung und Aufrichtung, neuen Mut und Lebenssinn. Und weil ich dieses für mich erfahren habe, möchte ich es auch Dir sagen und Dir Mut machen, Dich auf das Wagnis einzulassen und der Einladung Jesu zu folgen:
„Kommt und seht!“
„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, sagt Jesus.
Mögen Sie, mögest Du erleben, dass sich diese Erfahrung in 2022 auch für dich bewahrheitet!
Ein frohes und gesegnetes 2022!
Lars Dedekind, Propst