Sie hatte gehofft, dass es dieses Jahr anders werden würde. Er mit roten Rosen von der Arbeit nach Hause kommt, ihr tief in die Augen schauen würde und liebevoll sagen, wie sehr er sie noch liebt. In den Filmen, die sie so gern sonntags im zweiten Programm sieht, ist es doch auch immer so. Ein gut aussehender Mann fährt in seinem Cabrio in sein Heimatdorf zurück – meistens weil irgendeine Verwandte gestorben ist – und trifft seine Jugendliebe wieder, die noch im Ort lebt und einen kleinen Blumenladen hat. Spätestens nach 60min Film fällt der erste vorsichtige Kuss und am Ende feiert das ganze Dorf die Hochzeit der beiden. Dazu romantische Musik, pures Glück und Happy End.
Wenn sie zu Hause das Radio ein wenig lauter dreht, weil Ed Sheeran über die perfekte Liebe singt, ruft er aus dem Wohnzimmer, dass sie diese kitschige Musik ausmachen soll. Die Ehe sei schließlich kein Vergnügen und sie könnte froh sein, dass er ihr Haushaltsgeld nicht ständig kontrolliert. Eigentlich wollte sie schon vor Jahren gehen. Aber da waren die Kinder noch zu klein. Später ihre Angst vor der Einsamkeit zu groß, dabei war sie das eigentlich schon seit Jahrzehnten. Gestern hatte sie wieder mit klopfendem Herzen in der Küche gestanden, als er den Schlüssel in der Wohnungstür herumdrehte. Aber die Rose, die ihr bei einem Parteistand in der Stadt geschenkt wurde, blieb allein in ihrer Vase. Seine einzige Frage war, warum das Essen noch nicht fertig war. Irgendwann werden hier noch Köpfe rollen, denkt sie. Das wäre ja auch passend zum Namensgeber des 14. Februars, dem heiligen Valentin. Manchmal ist sie erschreckt davon, dass ihre Gefühlswelt so eindimensional und auch grausam geworden ist.
Die Pfarrerin hat letzten Sonntag in der Predigt von unglücklichen Menschen in Beziehung gesprochen. Es hat ihr gut getan gesehen zu werden, auch wenn sie nach außen immer den Schein wahrt. Als sie aus dem Fenster schaut ist ein rosaroter Streifen am Horizont aufgetaucht. Rosarot, so wie die Blumen, die vor 23 Jahren in ihrer Vase gestanden haben. Dann dreht sie zum ersten Mal das Radio so laut, dass sie sein Rufen aus dem Wohnzimmer nicht mehr hört.