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18.03.2023 Kategorie: Propstei, Wort zum Sonntag

Wort zum Sonntag 18.03.2023

Ringen um die Würde

„Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle Klassen der Gesellschaft ohne Unterschied der Geburt und des Standes, Pressefreiheit, Volksbewaffnung, Menschenrechte, Bürgerrechte, eine Verfassung, Schwurgerichte, eine Volksvertretung.“ Das waren die typischen Forderungen der liberalen Bewegung, die heute vor 175 Jahren in der sogenannten „Märzrevolution“ in Berlin gipfelten. Wenige Tage später wurden 183 Särge beigesetzt.

Menschen starben, weil sie für eine rückblickend so einfache Forderung auf die Straße gegangen waren: „Gleiche Rechte für alle!“ Doch letztlich sind auch diese Toten nur Teil einer unendlichen Geschichte von Unterdrückung. Und fast immer trifft die verzweifelte Wut der Unterdrückten auf die Angst der Mächtigen vor Veränderung und dem Unbekannten.

Es macht mich immer wieder fassungslos, dass Menschen für die Anerkennung ihrer Würde ihr Leben riskieren müssen. Denn diese Märtyrer sind ja nur die sichtbaren Toten. Diejenigen, die ein leises, unterdrücktes Leben führen, sterben still. Und sie sterben noch heute – in unserem Land!

Ich habe schon Menschen beerdigt, die ihr Leben lang ihre Homosexualität verbergen mussten und daran seelisch zerbrochen sind. Und ich habe mit Sicherheit Menschen beerdigt, deren Seele daran zerbrochen ist, dass sie sich mit ihrem zugeschriebenen Geschlecht nicht identifizieren konnten.

Mit derselben Übergriffigkeit, mit der Arbeiter:innen Menschrechte aberkannt worden sind, meinen es auch heute Machthabende für andere Menschen besser zu wissen. Und diese Machthabenden sind in einer Demokratie alle Wähler:innen! Wovor haben wir Angst? Warum laden wir lieber diese Schuld auf uns, statt die Würde jedes einzelnen Menschen zu achten?

Das Ringen um die Würde ist ein Menschheitsauftrag. Als Christ mithin als Ebenbild Gottes, glaube ich, dass ich dazu verpflichtet bin, keine Ängste zu schüren, sondern auf der Seite der Würdelosen zu stehen. Denn so abgedroschen, wie sie klingt, so wahr ist Jesus Forderung jeden Tag neu: „Behandelt andere Menschen genau so, wie ihr selbst behandelt werden wollt.“

Fotot: Pete Linforth pixbay

Beitrag von Jakob Timmermann, Pfarrer in St. Michaelis