Immer wieder höre ich in letzter Zeit den Satz: „Ich habe so gewählt, weil ich denen mal einen Denkzettel verpassen wollte!“ Meistens wird dann noch erklärt, was alles falsch läuft in der Gesellschaft und dass ‚die da oben‘ nichts zustande kriegen. Veränderung soll her, möglichst bald. „Schließlich ist es ja auch ein Leichtes das zu regeln.“ Es sind vielfältige Themen, die in radikaler Weise hinterfragt oder angegangen werden, meistens geht es um Asylpolitik oder das Klima.
‚Denkzettel‘ – das ist eine merkwürdige Methode, um jemandem etwas mitzuteilen. Das Verfahren beruht darauf, dass ich etwas an anderer Stelle tue und erwarte, ohne die Adressat:in direkt zu kontaktieren. Eigentlich eine ziemlich feige Vorgehensweise, die voraussetzt, dass meine Botschaft über Umwege klar und deutlich ankommt. Stille politische Post. Die Gefahr dabei ist, dass ich mit meinem vermeintlichen Denkzettel andere Meinungen protegiere, die ich vielleicht gar nicht teile – politische Programme sind schließlich breit angelegt. Da werde ich auf einmal mit Menschen in einen Topf geworfen, die sich menschenfeindlich und diskriminierend äußern.
Jesus ist zu den Pharisäern in den Tempel gegangen. Er hat sich mit denen angelegt, die er hinterfragt hat. Direkt und in hitzigen Diskussionen. Jesus hat also seine Adressaten aufgesucht und seine Möglichkeiten ausgeschöpft, um Dinge zu verändern. Auch er war dabei sicher mal mehr und mal weniger erfolgreich. Eins kann man jedenfalls sagen: er war keinesfalls zaghaft. Ich bin ziemlich sicher, dass er keine Denkzettel verpassen wollte. Vielmehr hat er die Menschen ‚angezettelt‘ weiterzudenken. Versucht, sie für seine Themen zu begeistern und aus ihrer Komfortzone geholt.
Wenn ich Menschen begegne, die sich mit ihren Denkzetteln brüsten, dann versuche ich herauszufinden, was eigentlich auf diesem Stück Papier steht. So können wir über Alternativen reden und Wege finden, etwas zu verändern. Vielleicht verteilen wir lieber Zettel, die zum gemeinsamen Denken einladen?