Suche

Nachricht

18.03.2023 Kategorie: Propstei

LEB ES ODER LASS ES ....

Gedanken von Kerstin Vogt

Zwei Ereignisse haben mich in der letzten Woche sehr beschäftigt. Ein Konzert von Makko, zu dem ich meine Tochter begleiten durfte und die Lesung mit Navid Kermani zu seinem neuen Buch „Jeder soll von da, wo er ist einen Schritt näherkommen. Fragen nach Gott“. Was haben ein muslimischer Intellektueller und ein Deutschrapper gemeinsam? Sie fragen sich, wie das, was Ihnen wirklich wichtig ist, gelebt werden kann? Kermani möchte „seinen Islam“, das, was er von seinen Eltern und Großeltern aus dem Iran erzählt bekam an seine 12jährige Tochter weitergeben. Ohne eine Gemeinde oder Gruppe, die diese mystische Form eines spirituellen, toleranten und interreligiös offenen Glaubens teilen würde. So bleibt ihm nur davon zu erzählen, was ihm selbst wichtig ist und auf Fragen zu antworten, die seine kluge Tochter stellt.

Ist das die Zukunft der Religion? Wenn wir alle so individuell verschieden sind, dass es kaum noch Orte gibt, an denen wir gemeinsam unseren Glauben leben können? Ist das die Gesellschaft der Singularitäten, von denen die Soziologie spricht? Institutionen verlieren an Glaubwürdigkeit, auch die Kirchen. Aber wo geht der Glaube hin? Das Staunen, sagt Kermani, sei der Anfang der Religion. Nicht in Büros, Bibliotheken oder Klassenzimmern sei sie entstanden, sondern wo Menschen sich in der Natur umgeschaut haben oder sich um ihre Liebsten sorgten, als sie selbst krank waren, hungerten oder sich verloren fühlten. Bei der Geburt eines Kindes, dem Tod der Eltern. Sie spüren dann, dass sie von Unverfügbarkeit umgeben sind. Hier entstehe Religion, als Beziehung zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen, das auch Gott genannt wird.

Ich möchte ihm gerne zustimmen. Aber Religion braucht im Unterschied zum Glauben ein wir. Es setzt die Gemeinschaft voraus. Leb es oder lass es, so heißt das Album von Makko. Ist es nicht das, was uns fehlt? Religion will nicht nur gedacht, sondern auch gelebt werden. Vielleicht braucht es neue Ausdrucksformen für unseren Glauben, aber alleine werden wir das, was uns am wichtigsten ist, nicht weitergeben können. Vielleicht, so habe ich bei Kermani gelernt, sei eines der häufigsten Worte im Koran. Vielleicht sollte wirklich jeder, von da, wo er ist, einen Schritt näherkommen und überlegen, wie das gehen kann: Glauben im 21. Jahrhundert.