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28.08.2025 Kategorie: Propstei, Wort zum Sonntag

Wort zum Sonntag, 30.08.2025

Wie das Leben geht

„Jetzt weiß ich, wie das Leben geht,“ sagt sie: „Du musst immer auch das Gegenteil mitdenken.“ Das habe sie gelernt: Immer das Gegenteil mitdenken. Man ist nie nur schwach, und man ist nie nur stark. Man hat nie nur Hoffnung, und man ist nie nur verzweifelt. Reines Glück gibt es auch nicht, immer ist ein wenig Trauer oder Melancholie beigemischt.

„Du bist von allem immer beides“, sagt sie und blickt zurück aufs Krankenhaus, das hinter ihr liegt. „Es war richtig knapp“, sagt sie, „seltsam nur: Ich war nicht so schwach, wie ich mich fühlte. Alle, die bei mir am Bett saßen, merkten das wohl auch. Sie freuten sich, wie tapfer ich sei. Ich merkte nichts davon, aber fast alle sagten: Du bist so tapfer. Irgendetwas strahlte wohl aus mir“, sagt sie. „Jedenfalls sagten das die anderen.“ Und je mehr es sagten, desto besser fühlte sie sich. Wie stark man ist, weiß man oft erst, wenn man schwach ist.

Gut, wenn man weiß, wie das Leben geht: Immer das Gegenteil mitdenken. Die ganze Wahrheit hast du, Menschenkind, erst dann, wenn du auch das Gegenteil beachtest. Nicht überdrehen vor Freude, nicht versinken im Schmerz. In deine Seele passt beides hinein: Wenn du froh bist, vergiss die Traurigen nicht. Und wenn du Grund zum Lachen hast und das pralle Leben

in beiden Händen, denke auch an die Tränen in der Welt. Und wenn dir zum Heulen ist, weil diese Welt ist, wie sie ist, mit all ihrem Grauen in Gaza und der Ukraine, im Sudan und anderswo, dann denke daran, dass du auch in Sorgen tapfer sein kannst. Eben das Gegenteil nicht vergessen oder verdrängen. Nur so geht das Leben!

In der Bibel lese ich dazu einen starken Satz: „Seid fröhlich als Menschen der Hoffnung, bleibt standhaft in Trübsal, seid beharrlich im Gebet.“ Der Apostel Paulus schreibt ihn im Römerbrief über das Zusammenleben von Menschen als Gemeinde. Selbst in schwierigen Lagen soll es möglich sein, den Mut nicht zu verlieren, die Hoffnung hochzuhalten. Verliert das Ganze nicht aus dem Blick - so, wie Gott euch nicht aus dem Blick verliert. Ja, auch das gehört zum Leben: Dass Gott dich gerade dann stark macht, wenn du es kaum noch zu hoffen wagst.

Fotorechte: pixabay