Liebe Leserin, lieber Leser!
Es ist Oktober geworden. Ich stehe staunend vor den Altären der prächtigen Ernte des zurückliegenden Sommers, genieße goldene Tage und die noch wärmenden Strahlen der Sonne. Schon färben sich die Blätter der Laubbäume und beginnen bei erstem Sturm und Frost zu fallen. Vergilbtes Laub wird in jeden Winkel und gefegt. Es riecht modrig und abgestanden. Kaum ein anderer Monat führt mir den Kontrast von Fülle und Vergänglichkeit so sehr vor Augen wie der Oktober.
Es kommen die Abende, an denen Heizung und Ofen wieder in Betrieb genommen werden. Heißer Tee und Wolldecken stehen parat. Eine große Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit breitet sich aus. Nach stürmischen und nasskalten Spaziergängen zieht es mich nach Hause. Geborgenheit bekommt in diesen Tagen wieder einen besonderen Klang.
Der Oktober hat es in sich: Von Tag zu Tag umgeben von dem Gefühl, dass alle Fülle der Natur sich mehr und mehr verflüchtigt und geradezu aufgesogen wird von Entbehrung, zunehmender Finsternis und Leere. Die beste Voraussetzung, um der Frage nachzugehen, wo ich gerade dann noch Geborgenheit und Kraft empfangen kann.
Jesus Christus spricht: Das Reich Gottes ist mitten unter euch! So lautet der Monatsspruch aus dem Evangelium nach Lukas. Im Hintergrund dieser Worte Jesu spannen sich die großen Fragen des Lebens, zu der sicherlich diese eine gehört: Wann bin ich endlich - ungeachtet aller äußeren Veränderungen - ganz und gar geborgen?
So haben die Pharisäer mit Jesus damals um eine Antwort gerungen. Und es ist bei weitem nicht nur der Herbst mit seinen fallenden Blättern und endlosen Nächten gewesen. Es sind vielmehr bohrende Fragen angesichts gebrochener irdischer Verhältnisse. Damals. Und auch heute: Die scheinbar unlösbaren Fragen um nicht enden wollende Kriege vor der Haustür und schwindelerregende Rüstungsausgaben. Unaufhaltsamer Klimawandel, bedrückende Einsamkeit hinter verschlossenen Türen und die Unberechenbarkeit umherlaufender Wutbürger. Die Befürchtung, dass der eigene Wohlstand mit all seinen Annehmlichkeiten nicht zu halten ist, es eher abwärts als aufwärts geht. Und an den dunkelsten Tagen diese lähmende Angst, dass alles in sich zusammenbricht.
Meine Sehnsucht nach dem Himmelreich ist stark. Nach einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Jesus verspricht, dass es schon jetzt und hier unter uns sein kann. Das Reich Gottes ist erfahrbar. Und ich kann es entdecken an den vielen Menschen, die es gut miteinander meinen. Menschen, die sich gegen alle Kalkulation Zeit füreinander nehmen, die aufhören, einander in Abgrenzung und Besserwissen zu entwürdigen.
Der bedeutendste Theologe des 19. Jahrhunderts Friedrich Schleiermacher hat es einmal so beschrieben. Das Reich Gottes geschieht dort, wo wir Sinn und Geschmack fürs Unendliche empfinden. Dann sind wir eine Menschheitsfamilie, aller Barrieren und Grenzen enthoben.
Gerade dann, wenn es unbehaglich und finster um mich herum wird, entdecke ich in scharfem Kontrast solche Orte, an denen sich Immel und Erde berühren und sich Menschen begegnen, die im Geist Jesu neue Wege wagen und so Gottes Reich erfahrbar machen.