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23.07.2022 Kategorie: Propstei, Wort zum Sonntag

Schön schief

Wort zum Sonntag am 23.07.2022

Das Bild hängt schief. Nicht bei Loriot. Sondern bei uns im Wohnzimmer. Das haben wir wohl übersehen, als wir es im Urlaub gekauft haben. Jetzt stehen wir vor der Wand, den Hammer noch in der Hand und sind, zugegeben, etwas enttäuscht. Der Bilderrahmen ist uneben. Die untere Ecke ist krumm und schief. Wir lassen uns in die Sessel fallen und schauen auf das Bild.

Ich werde nachdenklich. Woher kommt die Erwartung, dass alles möglichst perfekt sein soll? Mir ist sie vertraut. Ich kenne sie von mir selbst, genauso wie von außen. Immer noch soll ein Leben möglichst gradlinig verlaufen. Ich soll wissen, was ich will. Möglichst belastbar und gut sein. Lieber nicht erschöpft wirken. Vielmehr achtsam sein. Tolle Sachen machen. Vorankommen. Am besten weiß man schon vorher, was alles schieflaufen kann. Damit nichts schiefläuft. Doch das Leben ist so anders. Es ist nicht alles gerade. Manchmal ist das bedauerlich. Manchmal nicht, Gott sei Dank.

„Das Bild ist so wunderbar unperfekt.“ höre ich mich sagen. Und dann erinnern wir uns, wie der Künstler erzählte, wie seine Bilder entstehen. Er malt und übermalt sie. Als Leinwand benutzt er, was er findet. Alte Türen. Sperrholz und Schubkästen. Unser Bild ist auf eine Schrankwand gemalt. Es erzählt eine Geschichte. Von Menschen, die leben und vor uns gelebt haben. Vom Alltagstrott und von rauschenden Festen. Von Lebensträumen und vom Scheitern. Von Tränen und vom Lachen. Und von Liebe.

Unser Bild erscheint uns in einem neuen Licht. Die ungeraden Ecken machen es besonders einzigartig und kostbar. Wir verlieben uns neu in das Bild. Es ist schön, weil es nicht perfekt und aalglatt ist. „So geht es Gott auch, wenn er dich und mich ansieht.“ Wir lachen und ich lege den Hammer beiseite. Und siehe, es war sehr gut.

Quelle: Alexas_Fotos auf Pixabay