Der erste Geburtstag
Unter der alten Trauerweide haben wir den Gartentisch eingedeckt. Auf der Tischdecke mit dem Zitronenmuster stehen das blaue Geschirr und die cremefarbenen Rosen, die sie so liebte. Aus der Küche duftet es süßlich. Im Ofen bäckt noch der Stachelbeerkuchen mit Baiser. Den gab es früher auch immer zu ihrem Geburtstag. Man könnte meinen: gleich fallen wir uns alle lachend in die Arme und packen fröhlich Geschenke aus. Doch heute ist alles anders.
Heute ist der erste Geburtstag ohne sie. Sechsundsechzig Jahre alt wäre sie geworden. Im letzten Oktober ist sie plötzlich gestorben. Und heute tut es wieder besonders weh.
Trauer kommt in Wellen, sagt die Trauerexpertin Rutmariekje Smeding. Wie Ebbe und Flut. Immer wieder. Mal heftig, mal sanft. An manchen Tagen denke ich: heute geht es besser. Dann wieder rieche ich irgendwo ihr Parfum oder finde einen Zettel mit ihrer Handschrift: und die Welle umspült mich. Am Geburtstag schwappen die Flutwellen regelrecht. Alle Gefühle sind wieder da. Und sie dürfen es, sagt Smeding. Ich muss nicht darüber hinwegkommen. Über Liebe kommt man nicht hinweg. Liebe bleibt – und verbindet.
Als wir nachmittags zusammensitzen, ist es irgendwie schön. Wir erzählen von ihr und nennen ihren Namen. Wir erinnern uns. Wie es mal war und nie wieder sein wird. Wie sehr sie uns fehlt. „Hört doch meiner Rede zu und lasst mir das eure Tröstung sein!“, sagt ein Mensch in der Bibel. Ja. Mich tröstet es, wenn ich erzählen kann, was mich bewegt und traurig macht. Tröstlich, wenn einer da ist, der mir geduldig zuhört. Und so reden wir an diesem Nachmittag. Hören einander zu. Weinen. Schmunzeln und essen Stachelbeerkuchen. Es fühlt sich gut an, dass wir alle hier sind und ihren Geburtstag begehen. Das hätte ihr sicher gefallen.