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04.02.2023 Kategorie: Propstei, Wort zum Sonntag

FREI ...

Wort zum Sonntag, 04.02.2023

Frei

Lea ist elf Jahre alt, als in ihrer Heimat Albanien das kommunistische Regime gestürzt wird. Sie ist noch ein Kind. Aber alt genug, um zu begreifen, dass etwas nicht stimmt. Schon immer nicht gestimmt hat. Mit den Geschichten, die man ihr erzählt hat. Über ihre Familie. Über ihr Land. Über den Bronzeriesen mit dem freundlichen Schnurrbart, den die Demonstranten nun umreißen und wegschleifen. Lea sieht das alles und begreift, dass sie fortan ihre Geschichte selbst erklären muss.

„Ich wollte ein Buch über Freiheit schreiben“, sagt Lea Ypi, die heute als Professorin für Politische Theorien in London lehrt. „Frei“ lautet der Titel dieses Buches. Es erzählt davon, was es bedeutet frei zu sein, wenn alles auf dem Spiel steht. Ihre Hauptperson ist die kleine Lea, die inmitten der albanischen Wende ganz in den Geschichten ihrer Familie abtaucht und so verschiedene Vorstellungen von Freiheit sammelt: Freiheit als Abwesenheit von äußerem Zwang oder Freiheit als Möglichkeit, das eigene Leben von Grund auf zu verändern. Die eigentliche Heldin des Mädchens ist die Großmutter, die in sich die Idee moralischer Freiheit trägt. Es sei, so sagt Lea Ypi heute, diese unverwüstliche Form von innerer Freiheit, die sie an ihrer Großmutter immer bewundert habe: sich unabhängig von äußeren Einflüssen aus freien Stücken für andere einzusetzen.

Wir Menschen brauchen diese Freiheit als innere Haltung zum Glauben, Leben und Handeln. Jede Entscheidung, die wir treffen, jedes Zögern dabei macht uns menschlich. Unser Fragen, Überlegen und Zweifeln, die Fehler, die wir machen, und auch die Größe, andere um Rat und Hilfe zu bitten: alles das macht uns menschlich. Und frei. Gut, das nie zu vergessen, gerade in dieser Zeit nicht, in der viele vertraute Gewissheiten tiefe Risse bekommen haben.

Eines sei ihr beim Schreiben sehr bewusst geworden, sagt Lea Ypi: wie gefährdet und niemals selbstverständlich Freiheit als Gut zum Leben sei. Sie hoffe, dass viele Menschen für diese Freiheit eintreten, wo sie bedroht ist. Die russischen Rechte an ihrem Buch, sagt sie, seien gerade vergeben worden.

Foto: Elias auf Pixabay.

Beitrag von Henning Böger, Pfarrer in St. Magni